Mittelalterliche Scheinwahlen im geknebelten Parlament
Im Sinne der Gewaltenteilung ist es somit unerlässlich, dass der BayVerfGH als Verfassungsgericht neutral, d. h. frei von äußeren Einflüssen, entscheiden kann. Um dies zu gewährleisten, müssen die Richter bei ihrer Tätigkeit sowohl persönlich (Art. 87 BV) als auch sachlich unabhängig (Art. 85 BV) sein. Das bedeutet, sie dürfen während ihrer Amtszeit grundsätzlich nicht gegen ihren Willen entlassen oder versetzt werden und sie müssen frei von Weisungen und nur am Maßstab des Gesetzes Recht sprechen können. Außerdem müssen sie ihre Entscheidungen unparteiisch treffen, dürfen also nicht als verlängerter Arm der Regierung oder einer bestimmten Partei tätig werden. Um dem vorzubeugen, sollte der Wahlprozess eigentlich so gestaltet sein, dass keine voreingenommenen Parteipolitiker ernannt werden können.
Seit der Reform des VfGHG, die 1990 gegen die Stimmen der Opposition von der Regierungsmehrheit im Landtag verabschiedet wurde, setzt sich der BayVerfGH zusammen aus
– dem Präsidenten,
– 22 berufsrichterlichen Mitgliedern, darunter ein Generalsekretär, sowie
– 15 weiteren Mitgliedern und deren Vertretern.
Alle Mitglieder müssen das 40. Lebensjahr vollendet haben und zum Landtag wählbar sein. Sie sollen sich durch besondere Kenntnisse im öffentlichen Recht auszeichnen.Der BayVerfGH ist – anders als man es vielleicht erwarten würde – kein Vollzeitgericht, sondern tritt nur bei Bedarf, also zu den mündlichen Verhandlungen und Beratungen, zusammen. Die Berufsrichter behalten ihre Stellung an ihrem jeweiligen bayerischen Gericht und auch die weiteren Mitglieder üben ihre regulären Berufe weiterhin aus. Der Generalsekretär ist die einzige Person am BayVerfGH, die von ihren Aufgaben im richterlichen Hauptamt freigestellt ist, also für die Dauer ihrer Amtszeit „nur“ am Verfassungsgericht arbeitet. Allerdings geht auch bei den restlichen Mitgliedern die Tätigkeit am BayVerfGH allen anderen Aufgaben vor.
Der Präsident wird vom Landtag aus den Präsidenten der drei bayerischen Oberlandesgerichte (Bamberg, München, Nürnberg) gewählt. In der Praxis wurden seit 1959 aber ausschließlich Präsidenten des OLG München berücksichtigt. Dadurch soll einerseits die Vereinbarkeit beider Präsidentenämter erleichtert und das Pendeln zwischen zwei Städten verhindert werden – der BayVerfGH und das OLG München sitzen schließlich im gleichen Gebäude und sind organisatorisch verflochten. Andererseits soll eine Nähe des BayVerfGH zur politischen Macht, die in München residiert, ausgedrückt werden. Schließlich steht der Präsident im bayerischen Protokoll nach Ministerpräsident und Landtagspräsident an dritter Stelle. Auch der amtierende Präsident, Peter Küspert, war zunächst Präsident des OLG Nürnberg, bevor er kurz vor seiner Wahl zum BayVerfGH-Präsidenten zum Präsidenten des OLG München berufen wurde. Der Präsident wirkt als Vorsitzender an allen Entscheidungen des BayVerfGH mit und nimmt die dem BayVerfGH zustehenden Befugnisse außerhalb der Sitzung wahr. Er kann in besonders dringlichen Fällen den Erlass einer einstweiligen Anordnung selbstständig vornehmen oder ablehnen, wie Ende März bezüglich der Corona-Ausgangsbeschränkung geschehen. Ohne die Qualifikation des amtierenden Vorsitzenden in Frage stellen zu wollen, mutet es in einem Rechtsstaat doch seltsam an, einer einzigen Person so viel Macht zu übertragen. Sogar beim BVerfG müssen über einen Eilantrag mindestens drei Richter entscheiden. Der erste und zweite Vertreter des Präsidenten werden vom Landtag aus dem Kreis der Berufsrichter gewählt.
Die 22 berufsrichterlichen Mitglieder werden wie der Präsident vom Landtag für eine Amtszeit von acht Jahren gewählt (Wiederwahlen sind zulässig) und müssen zugleich Richter auf Lebenszeit an einem bayerischen Gericht (mindestens drei davon am Verwaltungsgerichtshof) sein. Der Präsident ernennt einen von ihnen zum Generalsekretär, mit dem er eng zusammenarbeitet. Ihm kann er die zur Vorbereitung einer Sitzung erforderlichen verfahrensleitenden Befugnisse übertragen wie den Schriftverkehr mit den Verfahrensbeteiligten sowie die Festsetzung von Fristen. Außerdem kümmert sich der Generalsekretär um die Durchführung der laufenden Verwaltungsgeschäfte wie die Registrierung der Verfahren, Anhörung der übrigen Verfahrensbeteiligten, Empfang von Besuchern etc. Dabei wird er von einem Richter am OLG als Referenten unterstützt, der selbst nicht dem Kreis der Verfassungsrichter angehören muss. Zusätzlich hat der BayVerfGH noch eine Geschäftsstelle, die aus drei Mitarbeiterinnen besteht.
Die gesetzliche Verankerung des Generalsekretärs im Jahr 1990, der bereits knapp dreißig Jahre zuvor vom Präsidenten in der Geschäftsordnung eingeführt wurde, wurde von der Opposition heftig, mitunter als verfassungswidrig, kritisiert.
Die SPD warf der Regierung vor, dass damit teils ein Behördenleiter, teils ein Geschäftsstellenleiter, teils ein geschäftsführender Präsident des Verfassungsgerichtshofs konstruiert werde und das alles in einer Person. Sie war der Ansicht, dass für die Führung der Verwaltungsgeschäfte ein qualifizierter Beamte ausreiche, der selbst nicht dem BayVerfGH angehöre. Die GRÜNEN befürchteten, dass der Generalsekretär zusammen mit dem Präsidenten faktisch ein übermächtiges Gespann bildet, das alle anderen Verfassungsrichter dominieren würde. Da der Generalsekretär in der Praxis alle Entwürfe der Verfassungsrichter überarbeitet, sodass auch alle Entscheidungen seine Handschrift tragen, wäre die Gleichheit der Richter nicht mehr gewährleistet.
Die Regierung entgegnete, dass der Generalsekretär allein mit Verwaltungsaufgaben betraut wäre und hiermit unverzichtbare Arbeit für den BayVerfGH leiste. In seiner Funktion als Richter wäre er aber den anderen Berufsrichtern gleichgestellt. Dass er häufiger als andere Richter eingesetzt werde, läge daran, dass er als Einziger von seiner sonstigen richterlichen Aufgabe entbunden und dadurch natürlich auch besser belastbar als die anderen sei. Außerdem hätte dies den Vorteil, dass er dadurch mit dem Präsidenten zur Kontinuität der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes beitragen könne.
Die Opposition scheint sich in der Zwischenzeit mit der Institution des Generalsekretärs abgefunden zu haben, zumindest gab es die letzten Jahre keine Änderungsversuche mehr in diese Richtung. Die Regierung sieht jedenfalls die mit seiner gesetzlichen Installation verfolgten Ziele erreicht, wie es auf Nachfrage heißt.
Die 15 nichtberufsrichterlichen Mitglieder und ihre Stellvertreter werden jeweils vom neuen Landtag nach seinem Zusammentritt für die laufende Legislaturperiode, also in der Regel fünf Jahre, gewählt. Für wie viele Richter die einzelnen Fraktionen Vorschläge machen dürfen, richtet sich dabei nach dem Verhältniswahlrecht. Nach dem Verfahren Sainte-Laguë/Schepers wurden vom aktuellen Landtag sechs Mitglieder auf Vorschlag der CSU-Fraktion, drei Mitglieder auf Vorschlag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, jeweils zwei Mitglieder auf Vorschlag der Fraktion FREIE WÄHLER und der AfD-Fraktion sowie je ein Mitglied auf Vorschlag der SPD- und der FDP-Fraktion gewählt (und jeweils gleich viele Stellvertreter). Somit entsteht ein Spiegelbild der parteipolitischen Zusammensetzung des Landtags.
Bis auf Schleswig-Holstein findet man in allen Landesverfassungsgerichten mindestens ein nicht-juristisches Mitglied. Hintergrund ist, dass viele Richter während der NS-Diktatur mit ihren politisch motivierten Urteilen dazu beigetragen haben, den Rechtsstaat auszuhöhlen. In der Frühphase der Bundesrepublik brachte man dieser Berufsgruppe daher großes Misstrauen entgegen und wollte mit der Vertretung von „juristischen Laien“ mit „einer anderen Art von gesundem Menschenverstand“ in den Verfassungsgerichten ein Korrektiv schaffen. Da viele Entscheidungen auch politische Dimensionen haben, sollten so auch deren Allgemeinverständlichkeit sowie das Vertrauen in die Justiz und die Sensibilität der Gerichte für gesellschaftliche Stimmungen und Bedürfnisse gefördert werden. Um die fachliche Grundständigkeit des Gerichts zu sichern, sieht das Gesetz über den BayVerfGH dennoch vor, dass auch die weiteren Mitglieder die Befähigung zum Richteramt haben oder Lehrer der Rechtswissenschaft an einer bayerischen Universität sein sollen. In der Praxis sind daher auch die nichtberufsrichterlichen Mitglieder zumeist Ex-Politiker bzw. -Richter oder Jura-Professoren.
Es wird regelmäßig im Ältestenrat vereinbart, dass auf eine geheime Wahl verzichtet und stattdessen gemeinsam über die im Voraus gesammelten Vorschläge der Fraktionen abgestimmt wird. So ist die Gefahr einer parteipolitischen Bindung bei dieser Gruppe an BayVerfGH-Mitgliedern am höchsten.
Daher wollte ich von den Landtagsfraktionen wissen, wie sie bei der Auswahl ihrer Kandidaten vorgehen: Bei CSU, FREIE WÄHLER und AfD wird lediglich auf die gesetzlichen Anforderungen verwiesen. Die SPD hat sich für ihren langjährigen rechtspolitischen Fraktionssprecher sowie eine ehemalige Abgeordnete (beide Rechtsanwälte und Mitglieder im Verfassungsausschuss) entschieden. Die GRÜNEN geben zu, darauf geachtet zu haben, dass sie zwar juristisch fähige Personen vorschlagen, diese jedoch auch dem Bevölkerungsspektrum, das sie vertreten, nahestehen. Eine besondere Nähe zu ihrer Fraktion bestünde im Grunde nicht konkret, da es keinerlei Austausch zwischen den Mitgliedern und der Fraktion über Themen des Verfassungsgerichtshofs gegeben habe. Von der FDP habe ich trotz mehrmaliger Nachfragen keine Antwort erhalten. Ihre Kandidaten sind jedoch zwei Parteigrößen: die ehemalige Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger sowie der ehemalige bayerische Wirtschaftsminister Martin Zeil.
Abgesehen davon, dass das aktuelle Wahlsystem unnötig kompliziert ist, weist es einige rechtsstaatliche Strukturdefizite auf, die immer wieder – zu Recht – debattiert werden:
Zunächst wird bemängelt, dass die Regierung den Präsidenten faktisch ernennt. In Bayern entscheidet das Justizministerium über die Berufung eines Richters zum Oberlandesgerichtspräsidenten. Der Landtag, in dem die Regierungspartei in der Regel die Mehrheit stellt, kann dann nur noch wählen, welcher der drei der neue BayVerfGH-Präsident werden soll. Um OLG-Präsident zu werden, hat die Praxis auch gezeigt, dass eine vorherige Dienstzeit im Justizministerium entscheidender ist als langjährige richterliche Erfahrung. Das weckt Zweifel an der Unabhängigkeit des höchsten Repräsentanten der bayerischen Gerichtsbarkeit. Schon bei der Gründung des BayVerfGH war auch umstritten, ob die Verfassung überhaupt erfordert, dass sein Präsident zugleich ein OLG-Präsident sein muss. Man entschied sich letztendlich für dieses Kriterium, weil man dachte, dass durch die Persönlichkeit dieses hohen Richters eine gewisse Objektivität geschaffen werde, auch wenn es Stimmen dafür gab, beide wichtigen Ämter zum Schutz vor Überbürdung voneinander zu trennen. So wurde bereits vor Eröffnung des Gerichts zutreffend vorausgesagt, dass der Präsident mehrere Vertreter benötigen würde, um die Arbeitsbelastung stemmen zu können. Ein Fortschritt zum Staatsgerichtshof bestand jedenfalls darin, dass der Vorsitz nicht mehr automatisch vom Präsidenten des Obersten Landesgerichts ausgeübt wurde, sondern der Präsident wie die anderen Mitglieder durch den Landtag gewählt wurde.
Die Nebenamtlichkeit der Mitglieder wird auch allgemein kritisch gesehen. Der BayVerfGH hat seit seiner Gründung um die 10.000 Verfahren bearbeitet. Gerade Verfassungsbeschwerden und Popularklagen beschäftigen das Gericht in ungebrochener Intensität und Häufigkeit (im Durchschnitt ca. 110 bzw. 20 pro Jahr). Im Vergleich zu anderen Landesverfassungsgerichten befindet sich der BayVerfGH damit am oberen Ende der Skala. Auf Nachfrage, ob die Arbeitsbelastung der Berufsrichter noch im Erträglichen ist, habe ich keine Antwort bekommen. Auf der anderen Seite: Beim Berliner Verfassungsgerichtshof gehen im Jahr jedoch nochmal deutlich mehr Einträge ein. Obwohl dort sogar die Möglichkeit besteht, bis zu vier Verfassungsrichter zu hauptamtlichen Verfassungsrichtern zu ernennen, sofern es der Geschäftsanfall erfordert (§ 13 IV Berlin-VerfGHG), wurde davon aber noch nie Gebrauch gemacht. Auch von den seit 1951 übrigens rund 240.000 erledigten Verfahren des Bundesverfassungsgerichts, an dem alle 16 Richter hauptamtlich tätig sind, ist der BayVerfGH noch weit entfernt. Für das aktuelle System spricht auch, dass die Berufsrichter so Erfahrungen aus ihrem Gerichtsalltag einbringen können. Allerdings bleibt genau durch diese Verflechtung auch ein Risiko für die persönliche Unabhängigkeit bestehen. Denn wenn ein Berufsrichter aus dem richterlichen Hauptamt ausscheidet bzw. der Präsident kein OLG-Präsident mehr ist, endet auch die Mitgliedschaft beim BayVerfGH. Bayerische Richter können gegen ihren Willen zwar nur im Disziplinarverfahren, über das ein Dienstgericht entscheidet, aus dem Amt entfernt werden, aber über dieses Dienstgericht hat wiederum das Bayerische Innenministerium die Dienstaufsicht (Art. 52 IV BayRiStAG). Um das Maximum an Unabhängigkeit von außen zu erreichen, müsste man wohl alle Mitglieder hauptamtlich am BayVerfGH anstellen. Dies erscheint angesichts der dadurch steigenden Kosten und der aktuellen Eingangszahlen nur sinnvoll, wenn man die Gesamtzahl der Mitglieder erheblich reduzieren würde.
Aber auch intern ist die Unabhängigkeit der Richter durch das Vorschlagsrecht des Präsidenten bedroht. Wenn die Wahl eines Berufsrichters wegen des Ablaufs der Amtszeit oder aus sonstigen Gründen wie Rücktritt, Tod oder Verlust der Wählbarkeit erforderlich wird, unterbreitet der Präsident nach Anhörung der restlichen Berufsrichter der Staatsregierung für jede zu besetzende Stelle einen Vorschlag, den diese wiederum an den Landtag weiterleitet. Da der Präsident in allen Spruchkörpern vertreten ist, kennt er das an sich geheime Abstimmungsverhalten aller Mitglieder. Die Opposition befürchtet, dass manche Richter zur Sicherung ihrer Wiederwahl darauf Rücksicht nehmen und nicht mehr ungehemmt abstimmen könnten. Die GRÜNEN beschrieben das 1990 als Zurückversetzen des BayVerfGH in mittelalterliche Zustände, wo sich nämlich tatsächlich noch die Gerichtsherren selbst ihre Mitrichter hinzuwählen konnten. Die Regierung entgegnete, dass das eine unbegründete Annahme sei und alle Mitglieder des BayVerfGH, einschließlich des Generalsekretärs, gegenüber dem Präsidenten persönlich und sachlich unabhängig wären. Sein Vorschlagsrecht würde gerade eine Parteipolitisierung der Kandidaten verhindern und sein hohes Amt sei für sich bereits ein vertrauensbildender Umstand. Die Vormachtstellung des Präsidenten wurde mit der Reform 1990 immerhin insofern reduziert, dass er nicht mehr allein über die Besetzung der Spruchkörper entscheiden darf (§ 4 GO-VerfGH-1963) und diese nach parteipolitischer Gesinnung der Richter einteilen könnte. Das bestehende Risiko für die innere Unabhängigkeit ließe sich beseitigen, indem man das Wahl-Quorum erhöht. So könnten Mitglieder nicht mehr mit der Drohung diszipliniert werden, dass die Regierungsmehrheit mit ihrer einfachen Mehrheit im Parlament ihre Wiederwahl blockiert, wenn sie unliebsam abstimmen. Alternativ könnte man wie beim BVerfG Wiederwahlen grundsätzlich ausschließen.
Seltsam erscheint auch, dass der Vorschlag des Präsidenten nicht direkt an den Landtag geht, sondern einen „Umweg“ über die Staatsregierung nimmt. Theoretisch bestünde so die Möglichkeit einer direkten Rückkoppelung, also dass die Regierung den Präsidenten vorab bittet, den Vorschlag abzuändern, ohne dass der Landtag davon erfährt. Der GRÜNEN-Abgeordnete Toni Schuberl und ich haben parallel dazu eine Anfrage eingereicht. Die Regierung erklärte zwei Monate später gegenüber Schuberl (mir hat sie bis heute diesbezüglich nicht geantwortet), dass der Vorschlag des Präsidenten schriftlich in der Staatskanzlei eingehe, dort dessen Behandlung in einer Sitzung des Ministerrats vorbereitet und dem Ministerrat schließlich vorgelegt werde. Nach Beschlussfassung im Kabinett werde der Wahlvorschlag von der Staatskanzlei an den Landtag übermittelt. Innerhalb der letzten zehn Jahre habe es „soweit erinnerlich und recherchierbar“ keine Kontakte von Seiten der Regierung mit dem Präsidenten bezüglich der Wahl der Berufsrichter gegeben. Lediglich das Sozialministerium habe im September 2011 dem Präsidenten schriftlich einen Vorschlag zur Frauenförderung unterbreitet. Auch die Generalsekretärin meinte auf Anfrage, dass soweit ihr (seit ca. 25 Jahren) bekannt keine Wahlvorschläge abgeändert wurden.
Auch wenn der Vorschlag an den Landtag als Ganzes weitergeleitet wird, wurde 1990 neu eingeführt, dass sich zunächst bloß die aktuell elf Mitglieder der Richter-Wahl-Kommission, in der die eigentliche Wahl „vorbereitet“ werden soll, damit beschäftigen. Es wird mit einfacher Mehrheit der darin vertretenen Abgeordneten abgestimmt. Die Aufteilung der Mitglieder auf die Fraktionen erfolgt nach dem Stärkeverhältnis der Fraktionen. Den Vorsitz führt der Landtagspräsident, der in der Regel ebenfalls der Regierungspartei angehört. Zusätzlich nimmt der Präsident des BayVerfGH an den Sitzungen teil, um seine Vorschläge zu begründen und die Ausschussmitglieder bei der Beurteilung zu unterstützen. Tatsächlich laufen die Sitzungen laut Schuberl aber so ab: „[Der Vorschlag des Präsidenten] wird ohne Diskussion und ohne Vorstellung der vorgeschlagenen Person durchgewunken. Das Gremium an sich hat also überhaupt keine Funktion, außer die Hand zu heben. Es gibt also keine Wahl im klassischen Sinn, da noch nicht einmal bekannt ist, welche Personen über die vorgeschlagene Person hinaus noch in Frage kommen könnten. Hier muss sich ganz grundsätzlich etwas ändern. Es ist richtig, dass der Vorschlag von Seiten der obersten Richterinnen und Richter und nicht von der Staatsregierung oder vom Landtag kommt. Doch verstehe ich die Aufgabe der Richterinnen- und Richterwahlkommission als Kontrollorgan, um sicherzustellen, dass diese Auswahl nach dem Prinzip der Bestenauslese stattfindet. Dies ist derzeit nicht möglich.“ Sollte es doch eine Diskussion geben, ist über deren Inhalt Stillschweigen zu bewahren.
Auch die daran anschließende Wahl in der Vollversammlung des Parlaments muss seit 1990 ohne Aussprache oder Anhörung der Kandidaten stattfinden. Die Opposition war über diese Neuregelung aufs Äußerste erzürnt:
„Das Ansinnen, die Richter für den Verfassungsgerichtshof mit einfacher Mehrheit zu wählen, wobei vom amtierenden Präsidenten des Verfassungsgerichtshofs die Personalvorschläge kommen, die dann in nichtöffentlicher Sitzung im Landtag erörtert und künftig ohne Aussprache verabschiedet werden, erscheint uns so abenteuerlich und mittelalterlich, daß wir nur noch sagen können: Ja, was muß denn noch passieren, damit man hier in Bayern endlich aufwacht und darauf besteht, daß diese höchste bayerische Gerichtsbarkeit nicht in dieser Art und Weise verunglimpft wird!“, ließen die GRÜNEN die Regierung wissen.
Und auch bei der SPD wetterte man: „Das Parlament bezieht seinen Namen daher, daß hier geredet wird, daß man hier Argumente miteinander austauscht. In der Bayerischen Verfassung steht nichts davon, daß man im Parlament das Maul halten soll. In der Verfassung steht auch nicht, daß bei der Wahl der Verfassungsrichter geschwiegen werden soll. [...] Sie können ja in Zukunft das Parlament ‚Silentium-Raum‘ nennen oder was Ihnen sonst immer einfallen möge, aber seine eigentliche Bedeutung wird das Parlament dann nicht mehr haben.“
Es wurde sogar ein Rachekomplott vermutet: „Wir haben vor einigen Monaten hier zum ersten Mal eine inhaltliche Aussprache über die Wahl von zwei Verfassungsrichtern geführt, nachdem die Opposition erstmals Gegenvorschläge gebracht und begründet hatte. Komisch: Vor einigen Monaten hat niemand von Ihnen Bedenken geäußert, daß es der Würde dieses Hauses oder der in Frage stehenden Personen irgendeinen Abbruch tun könnte, daß hier über die einen oder anderen gesprochen wird. Damals konnte sich jeder seine Meinung bilden, und es wurde abgestimmt. [...] War die Erfahrung mit der Aussprache über die Verfassungsrichterwahl vor einigen Monaten für Sie vielleicht inhaltlich so peinlich, daß Sie in Zukunft vermeiden wollen, in aller Öffentlichkeit bekannt werden zu lassen, daß sich zum Beispiel Ihre Vorschläge mit den Vorschlägen der SPD überhaupt nicht messen konnten?“
Damit könnte die SPD durchaus einen wunden Punkt getroffen haben. Denn in der Begründung des Gesetzesentwurfs heißt es: „Im Interesse des Ansehens und der Autorität des Verfassungsgerichtshofs [...] soll [...] in der Vollversammlung künftig eine Aussprache nicht mehr zugelassen werden. Sie erscheint nicht geeignet zu gewährleisten, daß eine sachliche Meinungsbildung über die fachliche und persönliche Qualifikation der Vorgeschlagenen unter Wahrung schützenswerter persönlicher Belange stattfindet.“ Die Opposition hatte durchaus bei der vorangegangenen Debatte die Lebensläufe der Kandidaten sarkastisch miteinander verglichen und in Richtung der CSU-Nominierten geäußert, sie sollten sich schämen, ein Amt unter solchen Voraussetzungen anzunehmen. Jedoch hat sie auch von Anfang an betont, dass es ihr vorrangig darum ginge, die CSU auf die Probe zu stellen, und die Kritik nicht gegen die nominierten Personen, sondern das System gerichtet sei.
In der Tat ist es sehr bedenklich, wenn das Parlament auf diese Weise mundtot gemacht wird. Das Ausspracheverbot im Plenum wurde damit begründet, dass die Diskussion stattdessen in das vertrauliche Setting der Richter-Wahl-Kommission verlagert werden soll. Nun verhindert sogar dort die Mehrheitspartei eine vernünftige Prüfung der Kandidaten. Dabei ist die parlamentarische Debattenkultur essentiell für eine lebendige Demokratie. Die Regierung hat zwar nicht Unrecht damit, dass ein öffentliches Verhör nicht unbedingt dazu führt, das beste Bild von der Richterpersönlichkeit zu bieten, die gewählt werden soll. Ein Blick in die USA, wo die Anhörungen der Kandidaten für den Supreme Court jedes Mal ein aufgebauschtes Medienspektakel sind (zuletzt Brett Kavanaugh), zeigt, dass zu viel Transparenz auch in einer Schwächung des Vertrauens in die Institutionen resultieren kann. Eine öffentliche Parteipolitisierung der Richterwahl wäre unvermeidlich, da sich jede Seite profilieren möchte. Deswegen würden teils alberne Dinge erfragt werden, die für die spätere Tätigkeit zwar von keiner Relevanz wären, aber Aufmerksamkeit bringen und eine sachliche Debatte in eine emotionale verwandeln könnten. Oder das Gegenteil tritt ein und die zur Wahl stehende Person wird schon vorher gefragt, wie sie später entscheiden wird. Von einem Verfassungsrichter wird kein schnelles Vorurteil erwartet, sondern ein oft erst nach langer Arbeit gewonnenes Votum. In einer Anhörung brilliert jedoch der gewandte Debattierer. Dies könnte geeignete Kandidaten – gerade solche, die bereits ein hohes (Richter-)Amt innehaben – abschrecken.
Dagegen ist einzuwenden, dass man in der Geschäftsordnung des Landtags Fragen zur Privatsphäre oder künftigen Entscheidungen strikt untersagen könnte. Man könnte das Verfahren auch derart umgestalten, dass der Kandidat sich ähnlich wie bei der Bewerbung um eine Professur dem Parlament mit einem Vortrag seiner Wahl vorstellt und anschließend darüber diskutiert wird. Von einer Person, die für das höchste Richteramt vorgeschlagen wurde, sollte man erwarten können, ohne Scheu vor Publikum Fragen zu gesellschaftlichen Problemen beantworten zu können. Schließlich gehört auch der öffentliche Auftritt später mit zum Amt. Wenn sich ein Hochqualifizierter davon entmutigen lässt, wäre das womöglich kein großer Verlust. Von Seiten der CSU wurde auch das Argument angeführt, dass es ein allgemeiner Grundsatz wäre, parlamentarische Wahlakte ohne Aussprache durchzuführen. Das mag vielleicht auf die Wahl des Bundeskanzlers oder des Wehrbeauftragten durch den Bundestag zutreffen, in Bayern ist aber auch bei der Wahl des Ministerpräsidenten eine Aussprache üblich. Außerdem werden die Landtagswahlen sowie die Wahl zum Ministerpräsidenten öffentlich diskutiert, sodass der Bürger sich vorab über die Personen, die entscheidenden Einfluss auf sein Leben nehmen werden, informieren kann. Die logische Konsequenz sollte sein, dieselbe Transparenz bei den Wahlen der BayVerfGH-Richter walten zu lassen, sodass sie in gleicher Weise durch die Öffentlichkeit legitimiert werden.
Ohne Aussprache ist es zudem schwierig, darauf zu achten, dass der BayVerfGH hinsichtlich seiner Besetzung mit der Zeit geht. Erst 1984 gab es die erste Berufsrichterin, 1992 die erste Präsidentin. Der Frauenanteil hat sich in den letzten drei Jahrzehnten zwar deutlich erhöht, liegt aber auch heute nur bei rund 38 % unter allen Mitgliedern (inkl. Stellvertreter). Beim Vorschlag der nichtberufsrichterlichen Mitglieder achten vor allem die GRÜNEN, SPD und FDP auf Parität, wohingegen die FREIEN WÄHLER seit ihrem Einzug in den Landtag ausschließlich Männer nominiert haben. Wenn man die Ansicht der CSU teilt, dass es bei verfassungsrechtlichen Fragen nicht immer nur um ein richtig oder falsch, sondern um eine Einordnung im Spiegel der Gesellschaft ginge, tun sich weitere Abgründe auf: Keine einzige Fraktion hat in dieser Wahlperiode von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, Laien zu nominieren. Alle aktuellen Mitglieder des BayVerfGH haben eine juristische Ausbildung und waren als Richter, Anwalt oder Notar tätig. Auch die jüngere Hälfte der Bevölkerung ist gravierend unterrepräsentiert. Das mag bei den Präsidenten, die sich anschließend an dieses Amt alle in den Ruhestand verabschiedet haben, auf die hohe Qualifikation zurückzuführen sein. Doch es spricht objektiv nichts dagegen, das gesetzliche Mindestalter zu reduzieren, sodass junge Amtsrichter mit Anfang 30 in das Berufsrichterplenum aufgenommen oder sogar frische Volljuristen mit Ende 20 zu nichtberufsrichterlichen Mitgliedern ernannt werden können. Als Assessoren haben sie das nötige Wissen bereits erworben und mangelnde Erfahrung kann ihnen gerade wegen der Beschaffenheit des BayVerfGH nicht entgegen gehalten werden. Ihre unverbrauchten, dem Zeitgeist entsprechenden Ansichten vom Recht könnten sich zudem positiv auf die Entscheidungen auswirken.
Alle Jahre wieder versucht die Opposition (erfolglos) durchzusetzen, dass der Präsident und die Berufsrichter vom Landtag nicht mehr mit einfacher, sondern Zwei-Drittel-Mehrheit gewählt werden sollen. Angesichts der Dominanz der Regierungspartei desillusioniert, das Wahlsystem in Gänze überarbeiten zu können, halten die Fraktionen das inzwischen für den effektivsten Lösungsansatz. Man erhofft sich davon unparteiischere Richter, wodurch die anderen aufgeführten strukturellen Probleme geringer wiegen würden.
Die Rufe danach wurden erstmals 1979 laut, als sich abzeichnete, dass sich die Vormachtstellung der CSU in der bayerischen Parteienlandschaft verfestigte. Tatsächlich konnte die CSU von 1966 bis 2008 alleine regieren und so auch den BayVerfGH nach ihren Vorstellungen gestalten und besetzen. Denn die Dreiteilung seiner Mitglieder und die Wahl jeder Gruppe mit einfacher Mehrheit erlaubt es einer Partei, die bei der Landtagswahl 2018 lediglich 37,2 % der Wählerstimmen erlangt hat, über 76,3 % der BayVerfGH-Mitglieder (Präsident + alle 22 Berufsrichter + 6 Fraktionsvorschläge) zu entscheiden. Sogar wenn man mit einbezieht, dass sich die CSU neuerdings mit ihrem Koalitionspartner, den FREIEN WÄHLERN, verständigen muss (ihn innerhalb der Regierung aber überstimmen kann), ist ihr Einfluss immer noch unverhältnismäßig groß. Die Opposition hatte das Gefühl, dass sich dies auch in der Rechtsprechung des BayVerfGH niederschlug.
Doch wie läuft eigentlich der Weg von der Klage bis zum Urteil ab? Der BayVerfGH entscheidet in der Regel in der Besetzung mit neun Richtern. Geht es um die Verfassungsmäßigkeit von Gesetzen, also vor allem bei Popularklagen und Richtervorlagen, wirken neben dem Präsidenten acht Berufsrichter mit. In allen übrigen Verfahren sind nichtberufsrichterliche Mitglieder vertreten, die konkrete Anzahl ergibt sich aus Art. 68 II BV, Art. 3 VfGHG. Bei den Entscheidungen über Verfassungsbeschwerden sind sie sogar in der Überzahl. In den meisten Verfahren ist die Zuständigkeit auf jeweils mehrere Spruchgruppen, d. h. verschieden besetzte Richtergremien, verteilt. Aufgrund der Nebenamtlichkeit der Richter könnte eine einzige Spruchgruppe vor allem die anstehenden Verfassungsbeschwerden und Popularklagen gar nicht bewältigen. Durch die Bildung von Spruchgruppen wird die Arbeitsbelastung für den Einzelnen reduziert. Welche konkrete Spruchgruppe im Einzelfall zuständig ist, bestimmt der Geschäftsverteilungsplan des Verfassungsgerichtshofs, der vom Berufsrichterplenum, d. h. dem Präsidenten und den Berufsrichtern, jeweils im Voraus für das bevorstehende Kalenderjahr beschlossen wird. Dort sind die Verfahren den Spruchgruppen nach den Endziffern der Registernummern zugeordnet. In der Geschäftsordnung ist geregelt, dass zudem alle an den BayVerfGH gerichteten Schreiben, z. B. auch Presseanfragen, von der Geschäftsstelle nach der zeitlichen Reihenfolge ihres Einlaufens in einem Tagebuch festgehalten werden.
Wenn beispielsweise eine Verfassungsbeschwerde beim Gericht eingeht, bekommt sie zunächst eine Tagebuchnummer. Anschließend wird die Verfassungsbeschwerde vom Referenten und/oder dem Generalsekretär auf ihre Erfolgsaussichten hin überprüft. Erscheint sie unzulässig oder offensichtlich unbegründet, so wird der Beschwerdeführer in einem Hinweisschreiben vom Referenten darüber informiert. Daraufhin kann der Beschwerdeführer sie entweder zurückziehen oder auf eine Fortführung des Verfahrens bestehen, was die Zahlung eines Kostenvorschusses erfordern kann. Es wird dann wie bei möglicherweise erfolgreichen Verfassungsbeschwerden weiter verfahren. Das bedeutet, nachdem die Beschwerde nach § 8 GeschOVfGH in das richtige Verfahrensregister eingetragen worden ist, werden die Akten dem Präsidenten oder Generalsekretär vorgelegt, der bei Verfahrensarten, für die mehrere Spruchgruppen bestehen, die nach dem Geschäftsverteilungsplan zuständige Spruchgruppe feststellt. Anschließend holt sich der BayVerfGH die Stellungnahme des zuständigen Ministeriums und die Gegenäußerung des Beschwerdeführers ein. Bei Eilanträgen in besonders dringlichen Fällen kann darauf verzichtet werden. Danach bestimmt der Präsident aus den Berufsrichtern der zuständigen Spruchgruppe einen Berichterstatter und ggf. einen Mitberichterstatter, die einen Entscheidungsentwurf erarbeiten. Anders als beim BVerfG haben sie hierfür keine eigenen wissenschaftlichen Mitarbeiter zur Verfügung. Der Präsident legt Termin und Ort der Sitzungen fest. Bei der Beratung und Abstimmung dürfen nur die Mitglieder der zuständigen Spruchgruppe anwesend sein, über ihren Inhalt ist Stillschweigen zu bewahren. Die frühere Präsidentin Holzheid hat in einem Interview offenbart, dass sie immer großen Wert darauf gelegt hat, dass zu Anfang der Beratungen jedes Mitglied seine ursprüngliche Meinung einmal geschildert hat, bevor dann versucht wird sich anzunähern.
Die Entscheidungen, von denen die wichtigsten in einer jährlichen Sammlung (VerfGHE) zusammen mit denen des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs erscheinen, ergehen zumeist ohne mündliche Verhandlung. Der Berichterstatter und ggf. der Mitberichterstatter stimmen zuerst, dann die restlichen Mitglieder aufsteigend nach dem Lebensalter und abschließend der Präsident. Stimmenthaltungen sind nicht zulässig. Wenn ein Richter ein Sondervotum abgeben will, das der Entscheidung beigefügt werden soll, muss er das der Spruchgruppe spätestens vor Unterzeichnung der Entscheidung mitgeteilt haben. Der oder die Namen der Verfasser dürfen anders als beim BVerfG aber nicht veröffentlicht werden. Die Öffentlichkeit erlangt also keine Kenntnis, welches Mitglied des BayVerfGH ein Sondervotum abgegeben hat. Außerdem wird nicht mitgeteilt, mit welchem Stimmenverhältnis eine Entscheidung ergangen ist, wenn kein Sondervotum abgegeben wird. Diese gesetzliche Regelung spielt der Regierung natürlich in die Karten, da so die Opposition ihre Vorwürfe bezüglich der mangelnden Unparteilichkeit der Richter nicht „beweisen“ kann.
Dennoch war gerade in den 80er- und 90er-Jahren – dem Tiefpunkt des Vertrauens in den BayVerfGH– eine parteipolitische Frontenbildung innerhalb des Gerichts bei einigen wichtigen kontroversen Entscheidungen, die zu Gunsten der Regierungspartei ausfielen, offensichtlich. Beispielsweise als der BayVerfGH 1992 entschied, dass das bei der vergangenen Wahl angewandte Sitzverteilungsverfahren kleinere Parteien zu Unrecht benachteiligt hatte und der Landtag somit verfassungswidrig zusammengesetzt war, dies aber aus Gründen des Vertrauensschutzes bis zur nächsten Wahl duldete. Davon profitierten sechs CSU- und ein SPD-Abgeordneter, die andernfalls ihr Mandat verloren hätten. In der SZ hieß es daraufhin ironisch: „Es ist schon wahr, daß die CSU bisher stets darauf vertrauen durfte, daß ihr der Verfassungsgerichtshof nichts zuleide tut.“ Ein Jahr später entschied der BayVerfGH, dass er sogenannte „Tarnlisten“ der CSU bei der vergangenen Kommunalwahl nachträglich zuließ. Obwohl laut Gemeindewahlgesetz jede Partei und jede Wählergruppe nur einen Wahlvorschlag einreichen darf, hatte die CSU eine zweite Liste aufgestellt, die überwiegend aus Mitgliedern und Sympathisanten der Jungen Union bestand. Die Opposition sah darin ein Gefälligkeitsurteil, das Wählerbetrug legalisierte, und auch ein von den GRÜNEN vorgeschlagenes nichtberufsrichterliches Mitglied legte ein Sondervotum ein.
Prekär ist, dass Entscheidungen des BayVerfGH auch Jahrzehnte später noch Auswirkungen auf Rechtsprechung und Politik haben können: In meinem Artikel zur Öffentlichkeitsarbeit der Staatsregierung habe ich berichtet, wie der Ministerpräsident letztes Jahr in einer Videobotschaft Stimmung gegen das Volksbegehren Artenvielfalt gemacht hat. Fest davon überzeugt, dass er damit verfassungswidrig auf den Meinungsbildungsprozess der Stimmberechtigten eingewirkt habe, wurde ich von der Regierung aufgeklärt, dass im Vorfeld vom Volksbegehren und Volksentscheiden ausnahmsweise nicht die Neutralitätspflicht, sondern lediglich das Sachlichkeitsgebot, mit dem Söders Aussagen im Einklang stünden, gelte. Das geht auf eine Entscheidung des BayVerfGH aus dem Jahr 1994 zurück:
Im Jahr 1990 führte eine landesweite Bürgeraktion das erfolgreiche Volksbegehren „Das bessere Müllkonzept“ durch. Das Innenministerium versuchte vergeblich, vor dem BayVerfGH das Volksbegehren zu verhindern mit dem Argument, dem Bund stehe die Gesetzgebungskompetenz in der Abfallwirtschaft zu. Die Richter urteilten jedoch, dass es dem Landesgesetzgeber unbenommen sei, nach neuen Möglichkeiten der Abfallverminderung zu suchen, wenn die alten erschöpft seien. Die CSU witterte daraufhin neuen „Handlungsspielraum“ und setzte im Landtag ihren eigenen Entwurf für ein neues Müllgesetz durch. So mussten sich die Bürger im anschließenden Volksentscheid plötzlich zwischen zwei Gesetzesvorlagen entscheiden. Auch bei der Gestaltung des Stimmzettels schummelte die Regierung, indem sie den Markennamen der Bürgeraktion unterschlug und bloß vom „Gesetzentwurf des Volksbegehrens“ sprach. Die Bürgeraktion befürchtete, dass die Bürger dadurch verunsichert würden und nicht mehr erkennen könnten, wofür sie stimmen sollten. Sie versuchte den Text ändern zu lassen, doch der BayVerfGH lehnte den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ab.
Die Regierung ging jedoch noch weiter: Sie startete eine regelrechte Diffamierungskampagne gegen den anderen Entwurf. In einer Broschüre, die an alle bayerischen Haushalt verteilt wurde, hieß es beispielsweise: „Dagegen verbessert der Landtagsentwurf das geltende Bayerische Abfallwirtschaftsgesetz und vermeidet die erheblichen Nachteile des Volksbegehrensentwurfs.“ Die CSU hatte sogar noch für 45.000 Mark Werbezeit bei ANTENNE BAYERN gekauft, doch die Landeszentrale für neue Medien verbot die Werbespots. Dafür setzte die Parteizentrale auf Mund-zu-Mund-Propaganda und verschickte Musterreden an ihre Kommunalpolitiker und Ortsverbände, in denen es von Falschbehauptungen und Schreckensmeldungen nur so wimmelte. Nicht weiter verwunderlich gewann der Landtagsentwurf dann mit knapp 300.000 Stimmen Vorsprung.
Schließlich musste der Landtag noch über die Gültigkeit des Volksentscheids entschließen. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hatte zu diesem Zeitpunkt bereits vier Fälle von Einflussnahmen in amtlicher Eigenschaft für unzulässig erklärt. Darauf aufbauend sammelte die Bürgeraktion über 700 Beispiele dafür, wie Bürgermeister, Landräte und Staatsbehörden gegen ihre Neutralitätspflicht verstoßen hätten und reichten sie beim CSU-geführten Innenministerium ein, das wiederum dem Landtag seine Stellungnahme zu diesen Beanstandungen vorlegen musste. Das eigene Ministerium kam zu dem sensationellen Ergebnis, dass wenn der Landtag bei seiner Prüfung die gleichen Maßstäbe anlegen würde wie der Verwaltungsgerichtshof, er den Volksentscheid eigentlich für ungültig erklären müsste. Eine statistische Hochrechnung ergab sogar, dass der Gesetzentwurf der Bürgeraktion nach diesen Kriterien gewonnen hätte. Um aus dieser heiklen Lage wieder herauszukommen, überlegte sich das Ministerium, dass die vom Gericht geäußerte Rechtsmeinung nicht zwingend sei. Es unterteilte die gemeldeten Verstöße nach Schwere der Beeinflussung und ließ alle Äußerungen bis auf eine direkte Abstimmungsempfehlung als mit dem Neutralitätsgebot vereinbar zu, sodass bei der neuen Hochrechnung der andere Entwurf wieder gewann. Daraufhin erklärte der Landtag mit den Stimmen der CSU den Volksentscheid für gültig. Als Konsequenz zog die gesamte Opposition mit der Bürgeraktion vor den BayVerfGH.
Das Urteil, das folgte, war für viele ein Schock. Der BayVerfGH entschied mit neun Richtern, sieben davon waren von der CSU ins Amt gebracht worden, zwei von der SPD. Mit einem Stimmverhältnis von Sieben-zu-Zwei stellte er fest, dass bei der Volksgesetzgebung das bei Wahlen zu beachtende Neutralitätsgebot nicht gilt. Staat und Kommunen dürften sich sogar besonders intensiv mit Informationen und Meinungsäußerungen an das Volk wenden und seien dabei lediglich an die Gebote von Objektivität und Sachlichkeit gebunden. Bei der Auseinandersetzung mit einem Gesetzentwurf sei den Amtsträgern ein nicht unerheblicher Einschätzungs-, Bewertungs- und Prognosespielraum zuzugestehen. Das schließe sogar Irrtümer mit ein, wenn diese nach Sachlage vertretbar erscheinen. Unzulässig sei nur, eine eindeutige, unmittelbare Abstimmungsempfehlung zu geben oder in einer Weise Partei zu ergreifen, die auch bei Zubilligung plakativer und überspitzter Formulierungen nicht mehr sachbezogen sei. Die unter diesen Kriterien ermittelten Verstöße reichten quantitativ nicht aus, um das Abstimmungsergebnis in einer Weise zu verändern, dass der Volksentscheid für ungültig erklärt werden müsse. Die zwei abweichenden Richter meinten hingegen, der Volksentscheid müsse wegen der beanstandeten Verstöße gegen die Neutralitätspflicht für ungültig erklärt werden. Während Regierung und Gemeindetag über ihre neu gewonnene „Meinungsfreiheit“ frohlockten, sah man anderswo eine deutliche Geringschätzung der Stimme des Volkes. Die verfassungsmäßig geforderte Waffengleichheit werde ignoriert, wenn die Staatsregierung und die kommunalen Amtsträger mit weit überlegenen finanziellen und organisatorischen Möglichkeiten gegen die Bürger agieren könnten („Wer es künftig unternimmt, die Initiative zu einem Volksbegehren zu ergreifen, der muß mit richterlich gebilligtem Sperrfeuer aus Staatskanzlei und Ministerien rechnen. Das wird auch noch dem letzten die Lust an staatsbürgerlichem Engagement austreiben.“). Mit ihrer Entscheidung hätten die Richter die Volksgesetzgebung als wirkungsvolles Instrument gegen zunehmende Politikverdrossenheit geschwächt.
Außerdem wurde dem Gericht vorgeworfen, „juristische Purzelbäume“ geschlagen zu haben, um ein bestimmtes Ergebnis zu erzielen. Im Landeswahlgesetz, das auch für Volksentscheide gilt, stünde unmissverständlich: „Den Behörden des Staates und den Gemeinden ist es untersagt, die Abstimmung in irgendeiner Weise zu beeinflussen.“ Der BayVerfGH hatte argumentiert, dass zwischen Wahlen und der Abstimmung bei einem Volksentscheid fundamentale Unterschiede bestünden. Der Volksentscheid sei letztendlich auch nur ein Akt der Gesetzgebung, auf den die Regierung wie bei der Gesetzgebung im Parlament Einfluss nehmen können und deshalb keine Neutralitätspflicht beachten müsse. Für die Städte und Gemeinden ergebe sich das Recht, zum Gegenstand des Volksentscheids Stellung zu nehmen, aus dem verfassungsrechtlich garantierten Selbstverwaltungsrecht. Von Juristen und Medien hieß es, das Gericht habe das Gesetz ins Gegenteil verkehrt. Nun könne der Staat die Abstimmung in jeder erdenklichen Weise beeinflussen, da sogar beim Sachlichkeitsgebot ein lockerer Maßstab anzusetzen wäre und böswillige vorsätzliche Lügen nur schwer nachzuweisen seien.
Nicht ohne Grund kam bei vielen Bürgern das Gefühl auf, dass das Gericht, das eigentlich ein Bollwerk für die Rechte der Bevölkerung sein sollte, sich zu einem Bollwerk gegen das Volk entwickelt hatte und zu einer Instanz wurde, bei deren vorprogrammierter Einseitigkeit man von vornherein mit dem Kopf gegen die Wand rannte. Ein Zwei-Drittel-Mehrheits-Erfordernis für die Richterwahlen sollte her – wie beim Bundesverfassungsgericht, dessen Rechtsprechung man als ausgewogen wahrnahm, sowie elf anderen Landesverfassungsgerichten. Die Argumente, die dagegen vorgebracht werden, können nicht überzeugen: Zum einen heißt es oft, die bisherige Praxis habe sich doch bewährt – never change a running system. Nun, es mag vielleicht nie eine personelle Katastrophe gegeben haben, aber auch nie eine gezielte Bestenauslese. Außerdem hat das Image des BayVerfGH bei allen bis auf die Regierungspartei doch ziemlichen Schaden genommen. Mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit wären die Richter vielleicht besser qualifiziert, auf jeden Fall aber besser legitimiert.
Zum anderen wird behauptet, eine Zwei-Drittel-Mehrheit würde die Parteipolitisierung der Richter noch verstärken. Es würde ein Kuhhandel wie beim Bundesverfassungsgericht stattfinden, dessen Richterposten sich die beiden großen Parteien, die zusammen auf zwei Drittel der Stimmen kommen, untereinander aufgeteilt haben („nimmst du meinen Schwarzen, nehme ich deinen Roten“). Allerdings entsteht dadurch wenigstens ein ideologisches Gleichgewicht, was schon ein Fortschritt zu der einseitigen Politisierung wäre, die das bayerische System hervorbringt. Es könnten nur Persönlichkeiten gewählt werden, die fraktionsübergreifend auf Zustimmung stoßen. Laut Regierung wäre dies aber nur bei stabilen politischen Verhältnissen mit vernünftigen Parteien von Vorteil. Mit der Zwei-Drittel-Regelung würde man riskieren, dass radikale Gruppierungen ein Mitspracherecht bekämen und umstrittene Kandidaten ins Amt befördern könnten, die der gesamten Verfassungsordnung nachhaltig schaden würden. Das jetzige System würde die Mehrheitsfraktion jedoch angesichts der immer bestehenden Möglichkeit eines Machtwechsels (in der Theorie zumindest, in der Praxis wohl eher nicht!) dazu ermutigen, die Vorschläge des Präsidenten ohne parteipolitisches Kalkül zu unterstützen, da sie sich sonst offen vor den Augen einer kritischen Öffentlichkeit dagegen stellen müsste.
Laut Schuberl bedeutet das aber letztlich, dass sich der BayVerfGH aus sich selbst heraus erneuert, faktisch ohne Beteiligung der anderen beiden Gewalten. Die Regierungspartei kontrolliert unmittelbar, wer neuer Präsident wird, und somit mittelbar auch den Prozess, da dieser immer wieder vom Präsidenten angestoßen wird. Diese Macht könnte durch das Erfordernis einer Zwei-Drittel-Mehrheit reduziert werden und auch der Erneuerungsprozess würde wieder im Landtag stattfinden, wodurch die Lücke in der Legitimationskette geschlossen wird. Auch den Umweg der Wahlvorschläge über die Staatskanzlei, der scheinbar nur symbolischen Nutzen hat, aber dafür neue Risiken eröffnet, könnte man sich dann sparen. Ganz abgesehen davon erscheint es nur logisch: Verfassungsergänzungen und -änderungen sind ohne eine Zwei-Drittel-Mehrheit nicht möglich – wieso sollten die Persönlichkeiten, die über deren Auslegung entscheiden, mit weniger gewählt werden?
So sprechen sich momentan die GRÜNEN, FREIE WÄHLER und SPD für eine Zwei-Drittel-Mehrheit aus, wohingegen die Regierung und die CSU weiter auf das jetzige System setzen. Die AfD lehnt eine Wahl durch den Landtag insgesamt ab und fordert stattdessen eine Ernennung durch eine unabhängige Wahlkommission.
Die letzten Gesetzesentwürfe der Oppositionsparteien haben sich darauf konzentriert, den Präsidenten und die berufsrichterlichen Mitglieder mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit wählen zu lassen. Es ist eine Erwägung wert, ob dies auch für die weiteren, von den Fraktionen vorgeschlagenen Mitglieder gelten sollte. Die Verhältniswahl sichert zwar politischen Minderheiten einen Zugang zum BayVerfGH, aber es entsteht kein Zwang zur Einigung auf Personen breiteren Vertrauens. Es ist parlamentarischer Gebrauch, auch hier auf eine Aussprache zu verzichten. Das heißt, dass jede Fraktion die ihr genehmen Kandidaten erhält und auch kontroverse Persönlichkeiten mit starken parteipolitischen Tendenzen oder sogar verfassungsfeindlichen Haltungen ins Gericht schmuggeln könnte. Die Amtsdauer von fünf Jahren ist für ein Richteramt schon ungewöhnlich kurz und die Amtszeit könnte im Falle einer vorzeitigen Auflösung des Landtags noch knapper ausfallen. Das Mitglied ist an das Schicksal der ihn wählenden Landtagsfraktion gekoppelt. Wer wiedergewählt werden möchte, muss darauf setzen, dass seine Rechtsprechung der jeweiligen Fraktion getaugt hat. Die alleinige Dominanz der Regierungsmehrheit bleibt also gesichert und zusätzlich entsteht noch eine neue Form der institutionalisierten Abhängigkeit. Es wäre wünschenswert, dass zumindest irgendeine Form der Mehrheitskontrolle hier stattfindet, um die richterliche Unabhängigkeit zu stärken. Eine Zwei-Drittel-Mehrheit würde nicht viel ändern, da bereits jetzt alle Fraktionsvorschläge einstimmig verabschiedet werden. Aber vielleicht könnte man die extremeren Kandidaten aussortieren, indem jede Fraktion mehr Personen als verfügbare Plätze nominieren muss und das Plenum dann wie bei der diesjährigen Kommunalwahl durch Kumulieren und Panaschieren die endgültige Auswahl trifft.
Das bayerische Wahlverfahren bevorteilt einseitig die Regierungspartei und riskiert die richterliche Unabhängigkeit – aber ist es deswegen verfassungswidrig? Das BVerfG und auch der BayVerfGH selbst mussten sich schon öfters mit dieser Frage auseinandersetzen. So war auch die Reform 1990 ein Versuch der Regierungspartei, einer beim BVerfG eingereichten Verfassungsbeschwerde gegen die Besetzung des BayVerfGH zuvor zu kommen. Kritische Punkte, wie dass die Anzahl der BayVerfGH-Mitglieder nie abschließend festgelegt war, die Geschäftsordnung vom Präsidenten selbstständig erlassen werden konnte oder dass sich auch ein amtierender Landtagsabgeordneter zum nichtberufsrichterlichen Mitglied wählen lassen konnte, wurden vorsorglich abgeändert.
Die rechtliche Bewertung des daraus resultierenden aktuellen Systems ist relativ eindeutig: Die Wahl der Mitglieder mit einfacher Mehrheit ist verfassungsrechtlich in gleicher Weise legitimiert wie jede andere Mehrheitsentscheidung des Parlaments. Entscheidungen mit einfacher Mehrheit entsprechen dem Demokratieprinzip. Bezüglich der Zulassung von Wiederwahlen und der Dauer der Amtszeit hat der Gesetzgeber einen Gestaltungsspielraum, den er nicht verfassungswidrig überschritten hat. Da jedes Mitglied mindestens einer Spruchgruppe angehört, wird auch der von der Verfassung geforderte gesetzliche Richter für den Einzelfall klar festgelegt. Der Generalsekretär steht auch nicht in einem besonderen Abhängigkeitsverhältnis zum Präsidenten, da seine Ernennung für die Dauer seiner Wahlzeit gilt und er daher nicht jederzeit vom Präsidenten abberufen werden kann. Zudem gibt es bei Zweifeln die Möglichkeit, nach Art. 9 VfGHG den Ausschluss eines Richters von einem bestimmten Verfahren wegen Befangenheit zu beantragen. Dass die Richter-Wahl-Kommission nicht-öffentlich tagt, verstößt nicht gegen das Verfassungsgebot, dass der Landtag öffentlich verhandelt, da dies nur für das Plenum, nicht aber für die Ausschüsse gilt.
Eine Änderung des Wahlsystems ist also rechtlich nicht zwingend notwendig, aber rechtspolitisch wünschenswert.