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Öffentlichkeitsarbeit der Bayerischen Regierung

Inhaltsverzeichnis:
– Hüter der Bayerischen Verfassung
– Mittelalterliche Scheinwahlen im geknebelten Parlament
– Geldsorgen
– Bewegter Stillstand
Logo mit Gebäude des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs und Schriftzug

Zwischen richterlicher Neutralität und Parteipolitik:

Wie unabhängig ist Bayerns mächtigstes Gericht?

Das Wichtigste in Kürze:
– Der Bayerische Verfassungsgerichtshof prüft u. a. die Vereinbarkeit von Gesetzen mit der Verfassung und ob der Staat die Grundrechte der Bürger verletzt.
– Das aktuelle Wahlsystem erlaubt der Regierungspartei unverhältnismäßig viel Einfluss auf die Besetzung des Gerichts.
– Zudem kann sein Haushalt vom Justizministerium kontrolliert werden.
– Änderungsversuche der Opposition werden seit Jahrzehnten im Landtag blockiert.
– Daher wird dem Gericht oft vorgeworfen, seine Entscheidungen nicht neutral, sondern aus parteipolitischen Gründen zu treffen.

Benjamin Stibi, 24. April 2020

Prielmayerstraße 5 – auf halbem Weg zwischen Münchner Hauptbahnhof und Stachus, in einem wuchtigen Backsteingebäude, sitzt der Bayerische Verfassungsgerichtshof (BayVerfGH*). Eine „Zitadelle der Demokratie und der Freiheit mit der Macht, das Handeln der bayerischen Staatsorgane zu kontrollieren und die Grundrechte der bayerischen Bürger zu gewährleisten.

Die Entscheidungen des BayVerfGH haben schon so manchem Ministerpräsidenten und seinen populistischen Projekten eine empfindliche Blamage bereitet. Denn während sich Niederlagen in Luxemburg (EuGH) oder Karlsruhe (BVerfG) als fehlendes Verständnis für die bayerische Realität wegstecken lassen, gibt es keine Ausreden mehr, wenn das eigene Verfassungsgericht einem die Leviten liest. Noch dazu zur eigenen Verfassung, die „jeder Bayer […] einmal […], Nichtbayern am besten zweimal studiert haben sollten.

Umso wichtiger ist es daher, dass der Bayerische Verfassungsgerichtshof auch weiterhin unabhängig von politischen Einflüssen arbeiten kann. Doch was, wenn er in einem System gefangen ist, das es der Regierung ermöglichen würde, ihm den Geldhahn zuzudrehen? Oder seine Besetzung so zu verändern, dass die Entscheidungen nur noch von regierungstreuen Richtern getroffen werden?

Hüter der Bayerischen Verfassung

Genau dieses Horrorszenario hätten die Gründer des BayVerfGH in seiner heutigen Form wohl unbedingt verhindern wollen.

Als Deutschland nach dem Krieg in Trümmern lag, einigten sich die Alliierten darauf, den Deutschen die Chance zum demokratischen Wiederaufbau zu geben. 1946 wurde die bayerische Regierung von den US-amerikanischen Besatzern aufgefordert, eine verfassunggebende Versammlung zu bilden. Deren Mitglieder mussten auch diskutieren, inwieweit der alte Staatsgerichtshof in das neue System integriert werden sollte. Dieser war wie die gesamte Weimarer Republik auf dem Papier eine moderne und demokratische Idee gewesen, doch in der Praxis noch nicht genügend ausgearbeitet, um den Aufstieg der Nationalsozialisten verhindern zu können.

Vor diesem Hintergrund war den Abgeordneten deutlich geworden, dass ein „Hüter der Verfassung“ nur so stark sein konnte, wie Politik und Gesellschaft ihn machten. Daher werteten sie den bereits bestehenden Staatsgerichtshof zum neuen Verfassungsgerichtshof auf und erweiterten seine Kompetenzen erheblich. Seine Errichtung sowie die parallel dazu entwickelte neue Verfassung sollten zum Sinnbild des demokratischen Neuanfangs werden.

Horizontale und vertikale Gewaltenteilung in Deutschland (vereinfacht)

Mit Verabschiedung des Grundgesetzes 1949 wurde die Bundesrepublik Deutschland als demokratischer und sozialer Bundesstaat, der heute aus 16 Bundesländern besteht, gegründet. Damit wurde das Prinzip der Gewaltenteilung sowohl horizontal, d. h. durch die Verteilung der Staatsgewalt auf drei verschiedene Staatsorgane, die sich gegenseitig kontrollieren, als auch vertikal, d. h. durch die Verteilung staatlicher Aufgaben zwischen Bund und Ländern, verwirklicht. Dieser föderale Aufbau führte dazu, dass jedes Bundesland über eine eigene Regierung, ein eigenes Parlament sowie ein eigenes Verfassungsgericht verfügt. Deren Kompetenzen werden in der eigenen Landesverfassung geregelt.

Für einen bayerischen Bürger gelten somit sowohl das Grundgesetz und die Bundesgesetze (Bundesebene) als auch die Bayerische Verfassung und die bayerischen Gesetze (Landesebene). Um zu verhindern, dass sich diese ganzen Gesetze widersprechen, wurde im Grundgesetz festgelegt, dass Bundesrecht im Zweifel Vorrang vor Landesrecht hat (Art. 31 GG) und die wesentlichen Verfassungsgrundsätze des Bundes (z. B. demokratische Wahlen) auch in den Ländern gelten müssen (Homogenitätsgebot, Art. 28 GG). Bund und Länder stellen also zwei unabhängig voneinander existierende Verfassungsräume dar, die aber vielfach miteinander verwoben sind.

Aus diesem Aufbau folgt, dass auch das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) und die 16 Landesverfassungsgerichte unterschiedliche Aufgaben haben. Das Bundesverfassungsgericht wacht als Verfassungsgericht des Bundes über die Verfassung des Bundes, sprich das Grundgesetz. Es kann sowohl Bundes- als auch Landesrecht auf Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz prüfen sowie ob das Landesrecht dem Bundesrecht entspricht. Es kann aber nicht prüfen, ob Landesrecht sowie Akte von Landesorganen vereinbar mit der Landesverfassung sind – das ist Aufgabe des jeweiligen Landesverfassungsgerichts. Daraus ergibt sich, dass die Landesverfassungsgerichte auch keine „Vorinstanz“ des BVerfG sind.

Verfassungsgerichte prüfen ausschließlich, ob die Verfassung eingehalten wird. Sie stehen abseits der übrigen Gerichtsbarkeiten und können grundsätzlich auch erst angerufen werden, wenn der Rechtsweg vor den Fachgerichten erschöpft wurde (Subsidiaritätsprinzip). Allerdings stellen sie keine „Superrevisionsinstanz“ dar. Das bedeutet, sie überprüfen nicht, ob die Fachgerichte bei ihren Entscheidungen das übrige Recht korrekt angewandt haben, sondern bloß, ob ein Verstoß gegen die Verfassung vorliegt, z. B. eine Verletzung des von der Verfassung garantierten Rechts auf rechtliches Gehör, weil wichtige Zeugen nicht aussagen durften.



Organisation der Gerichte in Deutschland (vereinfacht)

Alle Landesverfassungsgerichte fungieren auch als „Schlichter“ bei staatsrechtlichen Fragen, d. h. Streitigkeiten der anderen Staatsorgane über ihr Verhältnis zueinander. Ihre genauen Befugnisse sind aber von Land zu Land unterschiedlich ausgestaltet. Ebenfalls unterschiedlich sind die Namen dieser Gerichte: In Bayern hat man sich in Abgrenzung zum ehemaligen Staatsgerichtshof für „Verfassungsgerichtshof“ entschieden, andere Länder haben aber noch einen „Staatsgerichtshof“ (z. B. Hessen) oder schlicht ein „(Landes)Verfassungsgericht“ (z. B. Brandenburg).

Die Aufgaben des BayVerfGH ergeben sich aus der Bayerischen Verfassung und werden konkretisiert im Gesetz über den Bayerischen Verfassungsgerichtshof (VfGHG). So entscheidet er über Anklagen gegen Regierungsmitglieder und Abgeordnete (Art. 61 BV) sowie den Ausschluss von Wählergruppen von Wahlen und Abstimmungen (Art. 62 BV). Beide Fälle sind in der Praxis bisher noch nicht vorgekommen. Außerdem entscheidet er im Wahlprüfungsverfahren über die Gültigkeit der Landtagswahlen sowie den Verlust der Mitgliedschaft beim Landtag (Art. 63, 33 BV).

Der BayVerfGH ist auch für Organstreitigkeiten (Art. 64 BV) zuständig, d. h. wenn Staatsorgane (oder qualifizierte Teile von ihnen) über aus der Verfassung ableitbare Befugnisse, Rechte oder Pflichten zumindest eines Beteiligten streiten. Während der „Verwandtenaffäre“ 2013 wollte eine Oppositionsfraktion von der Regierung wissen, wieviel Geld bestimmte Kabinettsmitglieder an Familienmitglieder, die für sie arbeiteten, bezahlt hätten. Die Regierung verweigerte die Beantwortung der parlamentarischen Anfrage, woraufhin die Fraktion vor dem BayVerfGH klagte. Dieser urteilte, dass die Regierung damit das (verfassungsmäßige) Fragerecht der Opposition verletzt habe und zur Auskunft verpflichtet sei. Der BayVerfGH entscheidet auch bei Meinungsverschiedenheiten darüber, ob durch ein Gesetz die Verfassung verändert wird, ein Antrag auf eine unzulässige Verfassungsänderung vorliegt (Art. 75 III BV) oder ob ein Beweis(erhebungs)antrag im Untersuchungsausschuss zu Recht abgelehnt wurde (Art. 25 IV BV).

Manchmal passiert es, dass ein bayerischer Richter eine bayerische Rechtsnorm, auf deren Grundlage er ein bestimmtes Urteil fällen müsste, für verfassungswidrig hält. Er muss dann zur Klärung des Sachverhalts den BayVerfGH anrufen (Richtervorlage); das ursprüngliche Verfahren wird für diesen Zeitraum ausgesetzt. Der BayVerfGH führt daraufhin eine konkrete Normenkontrolle (Art. 65, 92 BV) durch und stellt fest, ob die fragliche Norm verfassungsgemäß ist oder nicht.

Jeder Bewohner Bayerns, der sich durch das Handeln einer bayerischen Behörde oder eines bayerischen Gerichts in seinen verfassungsmäßigen Rechten verletzt fühlt, kann nach Erschöpfung des Rechtswegs Verfassungsbeschwerde (Art. 66, 120 BV) beim BayVerfGH erheben. Auch wenn es sich dabei mit ca. 80 Prozent aller Fälle vor dem BayVerfGH um die häufigste Verfahrensart handelt, sind diese Anträge meist nur für die unmittelbar Beteiligten von Interesse, da es zum Beispiel um den Verlauf von Grundstücksgrenzen oder die Beseitigung von Schwarzbauten geht. Manche Verfassungsbeschwerden erregen aber auch landesweit Aufsehen, beispielsweise wenn der BayVerfGH der Polizei bei der Schleierfahndung schärfere Grenzen setzt.

Einmalig in ganz Deutschland und wohl spektakulärste Verfahrensart ist die Popularklage (Art. 98 BV). Im Gegensatz zur Verfassungsbeschwerde, bei der eine persönliche Rechtsverletzung geltend gemacht werden muss, kann hierbei „jedermann“ vor dem BayVerfGH gegen eine bayerische Norm klagen, die er für verfassungswidrig hält, sogar wenn er außerhalb Bayerns lebt und/oder selbst davon nicht betroffen ist. Um so z. B. gegen die Kampfhundeverordnung vorzugehen, müsste man keinen eigenen Kampfhund besitzen. Sie dient somit in erster Linie nicht dem Schutz des Einzelnen, sondern bezweckt im öffentlichen Interesse den Schutz der Grundrechte als Institution, beispielsweise wenn eine Überprüfung der Polizeiaufgabengesetz-Novelle oder der Fünf-Prozent-Hürde beantragt wird. Wie alle anderen Verfahren vor dem BayVerfGH ist auch die Popularklage kostenfrei (Art. 27 VfGHG) – bloß wenn sie offensichtlich unbegründet ist, kann eine Missbrauchsgebühr verhängt werden. Die Verfassungsgeber haben den bayerischen Bürgern somit vor dem Hintergrund des NS-Unrechtsstaates vertrauensvoll ein mächtiges plebiszitäres Kontrollinstrument in die Hände gelegt, mit dem diese bisher aber auch sehr verantwortungsbewusst umgegangen sind (ca. 15 % aller Verfahren vor dem BayVerfGH, davon ca. 10 % Erfolgsquote).

Nach Art. 67 BV können dem BayVerfGH durch Gesetz weitere Zuständigkeiten zugewiesen werden. Von besonderer Bedeutung ist das Verfahren über die Zulassung von Volksbegehren: Wenn das Bayerische Innenministerium ein beantragtes Volksbegehren für unzulässig hält, muss es die Entscheidung des BayVerfGH herbeiführen (Art. 64 LWG). Auf dieser Grundlage hat der BayVerfGH einerseits die Volksbegehren über die Legalisierung von Cannabis (2016) und zum Pflegenotstand an Krankenhäusern (2019) gestoppt, ließ andererseits aber das später erfolgreiche Volksbegehren zur Abschaffung der Studiengebühren (2012) zu. Auch wenn vom Landtag die Rechtsgültigkeit eines erfolgten Volksbegehrens bestritten wird, kann auf Antrag von Unterzeichnern der BayVerfGH hierüber entscheiden (Art. 73 V 2 LWG).

Aufgrund dieser weitreichenden Befugnisse gilt der BayVerfGH im gesamtdeutschen Vergleich als sehr mächtiges Landesverfassungsgericht. Wie beim Bundesverfassungsgericht (§ 31 BVerfGG) haben seine Entscheidungen Bindungswirkung (Art. 29 VfGHG), d. h. alle anderen Verfassungsorgane, Gerichte und Behörden müssen sie beachten und umsetzen. In besonders dringlichen Fällen kann er auch einstweilige Anordnungen (Art. 26 VfGHG) erlassen, wodurch ein Zustand vorläufig bis zur Fällung des eigentlichen Urteils geregelt wird. Diese Macht wird dadurch beschränkt, dass der BayVerfGH nur auf (schriftlichen) Antrag und nicht auf Eigeninitiative hin tätig werden kann. Andernfalls liefe man Gefahr, das Parlament zu umgehen und einen „Ersatzgesetzgeber“ zu schaffen.

Rechtsschutzmöglichkeiten für die Bürger Bayerns

Dennoch hat sich das Prinzip eines mächtigen Landesverfassungsgerichts bewährt. Die Rechtsprechung des BayVerfGH gilt als Bereicherung für das deutsche Verfassungsleben und besitzt Impulswirkung, die weit über Bayern hinausreicht. Nach seinem Vorbild wurden nach der Wiedervereinigung auch in den neuen Bundesländern starke Verfassungsgerichtshöfe mit Individualbeschwerdemöglichkeiten geschaffen. Davon profitieren vor allem die Bürger, denn für sie erhöhen sich die Anzahl der Rechtsschutzmöglichkeiten und damit auch ihre Erfolgschancen: Im gleichen Fall können BVerfG und BayVerfGH grundsätzlich parallel, gleichzeitig oder zeitlich gestaffelt angerufen werden. Gibt jedoch eines der Gerichte der Klage statt, entfällt im jeweils anderen Verfahren das Rechtsschutzbedürfnis. Rein theoretisch wäre sogar eine Verfassungsbeschwerde zum BVerfG gegen eine Entscheidung des BayVerfGH möglich, wenn dieser damit Grundgesetz-Grundrechte verletzt hätte.

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