Stimmzettel und Maske

Alles wie gehabt?

Bundestagswahl unter Pandemiebedingungen

Benjamin Stibi, 25.09.2021

Alles muss seine Ordnung haben, für demokratische Wahlen gilt das umso mehr. Für Bundestagswahlen ist nur der Bund zuständig. Im Bundeswahlgesetz und in der Bundeswahlordnung hat er den Ablauf der Stimmabgabe geradezu minutiös geregelt. Von den Maßen des Schlitzes der Wahlurne („nicht weiter als 2cm“) bis hin zur Eintragung von Seeleuten ins Wählerverzeichnis hat er scheinbar alles bedacht und nichts dem Zufall überlassen. Zusätzliche Vorgaben für eine Wahl zu Pandemiezeiten hat er nicht getroffen - über diese Entscheidung dürfen sich die Länder eigentlich nicht mit eigenen Regeln hinwegsetzen.

Stimmabgabe nur mit Maske möglich?

Trotzdem soll bundesweit eine Stimmabgabe nur mit Maske möglich sein. Denn die Landesregierungen wollen in ihre Corona-Verordnungen für die Wahllokale keine Ausnahme von der allgemeinen Maskenpflicht einbauen. Eine Ausdehnung der 3-G-Regelung aufs Wahllokal haben sie dagegen relativ schnell ausgeschlossen – das sei rechtlich nicht machbar. Kohärent ist das nicht: Denn beide Maßnahmen erschweren Personengruppen aus medizinischen oder ideologischen Gründen das Betreten des Wahllokals und die Maske kostet den Bürger im Gegensatz zum Test auch noch Geld.

Wenn die genauen, in der Vor-Corona-Zeit entwickelten Vorgaben des Wahlrechts auf die “Holzhammer-Methoden” der Pandemiebekämpfung treffen, stellt das die Wahlvorstände, die für Ruhe und Ordnung im Wahlraum zu sorgen haben, in der Praxis jedenfalls vor ein Problem: Wie sollen sie mit Maskenverweigerern umgehen?

Auf Anfrage heißt es beim Bundeswahlleiter, der Wahlvorstand könne nach dem Bundeswahlgesetz Personen, die die Ordnung und Ruhe stören, aus dem Wahlraum verweisen. Die Nichteinhaltung der Landesinfektionsschutzvorschriften stelle eine Störung der Ordnung da, weil andere Personen im Raum dadurch gefährdet würden. In der Regel müsse der Wahlvorstand daher Maskenverweigerern den Zutritt verwehren. Im absoluten Ausnahmefall könne zumindest die Stimmabgabe ohne Maske ermöglicht werden, z. B. wenn kein Andrang zur Stimmabgabe herrsche, das Einverständnis aller Anwesenden vorliege und weitere Schutzmaßnahmen getroffen werden.

Allerdings ist in der Bundeswahlordnung auch abschließend geregelt, in welchen Fällen der Wahlvorstand einen Wähler zurückzuweisen hat, beispielsweise wenn er in der Wahlkabine fotografiert oder zwei Stimmzettel auf einmal einwerfen will. Das Nichttragen einer Maske ist von keinem der in der Bundeswahlordnung aufgeführten Fälle erfasst. Der Ausschluss eines Wählers wegen Nichttragens einer Maske wäre daher rechtswidrig.[*]

Auf den ersten Blick scheint es naheliegend, Maskenverweigerer pauschal auf die Briefwahl zu verweisen. Generell gilt aber ein verfassungsrechtliches Leitbild der Urnenwahl, weil diese die repräsentative Demokratie in besonderer Weise sichtbar und erfahrbar macht. Das Bundesverfassungsgericht sieht bei der Briefwahl erhebliche Mängel: Es kann nur schwer kontrolliert werden, ob die Wahlberechtigten ihre Wahlscheine tatsächlich selbst ausfüllen und ob sie dabei unbeobachtet und unbeeinflusst gewesen sind.

Verhüllungsverbot für Wahlhelfer?

Auch auf der anderen Seite der Urne bereitet die Maskenpflicht rechtliche Probleme: Nach dem Bundeswahlgesetz dürfen die Mitglieder der Wahlorgane in Ausübung ihres Amtes ihr Gesicht nicht verhüllen. Das Verhüllungsverbot dient dazu, die Mitglieder der Wahlorgane identifizierbar zu machen, eine vertrauensvolle Kommunikation zu ermöglichen und keine Zweifel an der unparteiischen Wahrnehmung ihres Amtes entstehen zu lassen.

Aus Sicht des Bundeswahlleiters ist eine MNB keine Verhüllung. Man könnte sagen, die Kommunikation mit Maske ist inzwischen alltäglich, ihr Anblick gewohnt. Allerdings gibt es einen nicht unerheblichen Teil der Bevölkerung, dem das Maske-Tragen weiterhin zuwider ist und dem die Erscheinung von Wahlhelfern mit Maske ähnlich wie bei religiösen Gesichtsverhüllungen, auf die die Norm wohl ursprünglich abgezielt hat, das Vertrauen in einen unparteiischen Wahlvorgang nimmt.

Problematisch sind auch Aufenthaltsbeschränkungen im Wahllokal, die die Begleitung des Wahlvorgangs durch (externe) Wahlbeobachter erschweren.

Steilvorlage für Wahlprüfungsbeschwerden

Die Länder verfolgen sicherlich gute Absichten, wenn sie die ehrenamtlichen Wahlhelfer, ohne die die Durchführung einer Präsenzwahl nicht möglich wäre, durch solche Vorschriften schützen wollen. Allerdings drohen durch die Konflikte mit dem Wahlrecht, insbesondere den Grundsätzen der Öffentlichkeit und Nachvollziehbarkeit der Wahl, am 26.09. massenweise Fehler im Wahlverfahren. Dies könnte zu zahlreichen Einsprüchen und Wahlprüfungsbeschwerden führen.

Wenn Hygienekonzepte/-pflichten gewollt sind, hätte sie der Bundestag, der für das Bundeswahlgesetz zuständig ist, oder das Bundesinnenministerium, das die Bundeswahlordnung erlässt, auf eine klare Rechtsgrundlage stellen und auch festlegen müssen, was für Konsequenzen Verstöße nach sich ziehen. Da dies nicht passiert ist, bleibt den Gemeinden und dem Wahlvorstand aus rechtlicher Sicht eigentlich nur noch die Möglichkeit, über die Auswahl bzw. die Gestaltung des Wahlraums positiv auf den Infektionsschutz einzuwirken.

Am Wahltag kurzfristig in Quarantäne

Ein weiteres Problem, das sich zu Corona-Zeiten stellt und mit dem sich die Verantwortlichen vor Ort auseinandersetzen müssen: Was, wenn ein Wahlberechtigter am Wahltag positiv getestet oder vom Gesundheitsamt kurzfristig in Quarantäne geschickt wird? Selbstverständlich darf er dadurch weder Wahlrecht noch Wahlmöglichkeit verlieren.

Die Bundeswahlordnung kennt sog. „bewegliche Wahlvorstände“ für die Stimmabgabe in stationären Einrichtungen, die die Bewohner nur schwer verlassen können, wie Krankenhäuser. Dieser bewegliche Wahlvorstand könnte auch genutzt werden, um die Wahlunterlagen zu und von einem zuhause unter Quarantäne Gestellten zu bringen.

Denn Briefwahl kann man nur bis 15 Uhr beantragen – und auch bloß bei „plötzlicher Erkrankung“. Wer aber als Kontaktperson, ohne Symptome und ohne positives Testergebnis, in Quarantäne geschickt wird, ist wohl kaum „krank“.

Sofern keine kontaktlose Übergabe stattfinden kann, z. B. wegen körperlicher Beeinträchtigungen der Person, müsste das Kontaktverbot vom Gesundheitsamt kurzzeitig gelockert werden. Wenn es die Ansteckungslage als gering einschätzt (z. B. weil der Kontakt zur infizierten Person von relativ kurzer Dauer war oder man bereits die Erstimpfung hatte), könnte es auch grundsätzlich für den Wahlvorgang Befreiung von der Quarantäne gewähren.

Bundeseinheitliche Regelungen, wie man mit dem geschilderten Szenario umgeht, scheint es jedenfalls nicht zu geben. Der Bundeswahlleiter hält auf Nachfrage einen anderen Vorschlag parat: Wer befürchtet, nach 15 Uhr in Quarantäne geschickt zu werden („ein sehr unwahrscheinliches Szenario“), solle von Anfang an Briefwahl beantragen und dann den Wahlschein entweder für die persönliche Stimmabgabe im Lokal nutzen oder ihn im Quarantänefall durch eine beauftragte Person bis 18 Uhr noch einwerfen lassen.

Die Wahl der Zukunft

Aber wieso nicht einfach gleich die Wahl überall mobiler gestalten? In den Flutkatastrophengebieten werden aufgrund beschädigter Gebäude bereits Zelte des Technischen Hilfswerks als Behelfswahllokale und Wahlbusse, in denen Wahlberechtigte ihre Stimme direkt abgeben können, eingesetzt. Auch im restlichen Land könnte man die schon bestehende Corona-Infrastruktur (Test-Drive-in-Stationen, Impfmobile) dafür nutzen. Die Aerosolforschung weist schon lange darauf hin, dass die Ansteckungsgefahr unter freiem Himmel äußerst gering ist. Die Frage nach der Maskenpflicht würde sich dann gar nicht mehr erst stellen. Das Bundesverfassungsgericht hat das Wahlrecht als „das vornehmste Recht des Bürgers im demokratischen Staat“ bezeichnet. Alle staatlichen Entscheidungen müssen in Form einer langen Legitimationskette über Wahlen auf den Volkssouverän zurückzuführen sein. Eine gesunde Demokratie lebt von dem Vertrauen, das die Bürger in sie haben. Zusätzliche Kosten und Aufwand sollten es also wert sein, um auch Maßnahmenkritiker von der Legitimität der Wahl zu überzeugen. Andernfalls leitet man bloß Wasser auf die Mühlen der Verschwörungstheoretiker.

Trotz Pandemie hat jeder deutsche Wahlberechtigte – unabhängig davon wie er zu den staatlichen Maßnahmen steht – die Möglichkeit, seine Stimme abzugeben. Bei einem flexiblen Einsatz der zur Verfügung stehenden Mittel und mit gesundem Menschenverstand lassen sich auch scheinbare Konflikte zwischen Wahl- und Infektionsschutzrecht rechtlich sauber lösen. Aufgrund der Regelungsfaulheit des Bundes bleibt die konkrete Umsetzung aber an den ehrenamtlichen Wahlhelfern hängen, auf die am Wahltag selbst deswegen eine Menge (vermeidbarer) Stress zukommt.

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[*] Das OVG NRW hat allerdings am 24.09.2021 einen Eilantrag gegen die Maskenpflicht im Wahllokal abgelehnt. Die Stimmabgabe im Wahlraum werde dadurch nicht in unzumutbarer Weise erschwert und die Wahl sei weiterhin öffentlich, da der Zutritt zum Wahlraum während der Wahl sowie der Auszählung jederzeit zumutbar möglich bleibe.

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