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Der BayVerfGH – Wie unabhängig ist Bayerns mächtigstes Gericht?

Inhaltsverzeichnis:
– Start
– 355.000 Euro für 4 Minuten Imagefilm
– Von Bienen und Blumen – eine Belastung für die Demokratie
– „Staatlicher Boulevard-Journalismus“?
– Staatsgeheimnis Öffentlichkeitsarbeit
– Ein überraschender Kurswechsel
Karikatur von Söder mit Megaphon

Bayerische Staatsregierung:

Wählerbeeinflussung und Steuerverschwendung im Namen der Öffentlichkeitsarbeit?

Das Wichtigste in Kürze:
– Der bayerischen Staatsregierung stehen jährlich über 13 Mio. Euro für Öffentlichkeits­arbeit zur Verfügung.
– Diese Steuergelder werden teils unüberlegt und unwirtschaftlich in fragwürdige PR-Projekte investiert.
– Gerade zu Wahlkampfzeiten werden sie auch für parteipolitische Imagepflege missbraucht.
– Durch das Schalten von Online-Werbung wirkt die Regierung verfassungswidrig auf die Meinungsbildung des Volkes ein.
– Aufgrund fehlender Konsequenzen scheint sich eine gewisse Narrenfreiheit bei den Verantwortlichen eingestellt zu haben.

Benjamin Stibi, 07. Juli 2019

Manche Gebäude haben die Eigenart, ein bestimmtes Gefühl in uns auszulösen, sobald wir sie betreten. So verspürt man sofort eine gewisse Ehrfurcht und Erhabenheit, wenn man in ein schickes Hotel, eine Bibliothek oder eine Kirche geht. Die bayerische Staatskanzlei strahlt auf mich aber vor allem eines aus: Macht.

Ich bin hier, weil ich zwei Tage zuvor per Mail eingeladen wurde, das Referat Online-Kommunikation der Staatskanzlei zu besuchen – mehr Informationen habe ich nicht bekommen. Später wird sich herausstellen, dass ich einen Gesprächstermin mit dem Verantwortlichen für „Leitung Öffentlichkeitsarbeit und Kommunikation im Leitungsstab des Bayerischen Ministerpräsidenten“ habe – hoffentlich ein Zeichen, dass man meine vielen Mails ernst nimmt.

Angefangen hat meine Recherche im Februar mit einem YouTube-Video von einem gewissen Markus S. Dieser ist ein typischer Influencer und wie alle „digital natives“ hat er Accounts auf Facebook, Instagram und YouTube, auf denen er die Öffentlichkeit an seinem Leben teilhaben lässt.

Bei ihm ist schließlich immer was los: Mal gibt es Fotos zu seiner Äthiopien-Reise, mal vom Besuch einer Abend­veranstaltung mit den Arbeitskollegen und manchmal einfach nur von den Tieren und schönen Landschaften um ihn herum. Aber ab und zu wird er auch mal richtig ernst und postet Real-Talk-Videos, in denen er sich vor die Kamera stellt und spontan zu aktuellen Themen seine Meinung kundgibt. Zum Beispiel zur Europawahl oder zum aktuellen Volksbegehren.

Eigentlich nichts Äußergewöhnliches – bloß ist der Influencer Markus S. in Wirklichkeit Dr. Markus Söder, Mitglied des Bayerischen Landtags und vermutlich mächtigster Ministerpräsident eines deutschen Bundeslandes.

Anfang Februar 2019 wurde auf YouTube ein Regierungsvideo zum „Volksbegehren Artenvielfalt“ beworben. In diesem erklärte der Ministerpräsident (zwar nicht wortwörtlich, aber dennoch unmissverständlich), dass das Volksbegehren aus seiner Sicht inakzeptabel, gefährlich sowie verbesserungswürdig sei und suggerierte dem Zuschauer, sich doch bitte nicht in die Listen einzutragen.

Aufgrund des Geldes, das von der Regierung an YouTube geflossen ist, wurde das Video inzwischen (Stand: Anfang Juni 2019) über 80.000-mal gesehen. So viele Aufrufe haben nicht mal alle 114 Videos des Volksbegehren-YouTube-Kanals zusammen, zumal diese nicht mit der symbolischen Amts­gewalt des Ministerpräsidenten auftrumpfen können.

Auch wenn das Volksbegehren letztlich erfolgreich war, hat mir diese Einmischung der Regierung in den Meinungs­bildungsprozess zu denken gegeben.

Ob diese Art der Öffentlichkeits­arbeit noch im Interesse der Öffentlichkeit ist?

355.000 Euro für 4 Minuten Imagefilm

Das Statement-Video zum Volksbegehren Artenvielfalt war nämlich nicht die erste fragwürdige PR-Aktion, die sich die bayerische Regierung in der Vergangenheit geleistet hat:

Im Jahr 2012 ließ die Staatskanzlei ein Browser-Spiel entwickeln, in dem „Bavaria“ den Gamer auf eine Heldenreise schickte und mit Weisheiten der Staatsregierung, beispielsweise zur CSU-Familienpolitik, belohnte.

„Aufbruch Bayern“ wurde sowohl in den Medien als auch in der Gaming-Community hämisch verspottet, was erklären würde, wieso die zugehörige Webseite heute nicht mehr zu finden ist. Dabei hat diese hippe Form der Öffentlichkeitsarbeit den Steuerzahler schlappe 133.000 Euro gekostet, wie aus einer schriftlichen Anfrage eines SPD-Abgeordneten hervorging.

Die Regierung ließ sich jedoch nicht in ihrem Kurs beirren und ein Jahr später folgte ein Sequel aus dem Wirtschafts­ministerium: das „Energiespiel Bayern“, in dem Jugendliche ab 13 Jahren die bayerische Stromversorgung so konfigurieren sollten, dass der Ausstieg aus der Kernenergie bis Ende 2022 gelingt. Auch hierfür beliefen sich die Kosten auf weit über 100.000 Euro.

Das Online-Spiel „Aufbruch Bayern“ wurde schon vor mehreren Jahren offline gesetzt – was davon noch bleibt, sind vereinzelte Gameplay-Videos auf YouTube wie hier und hier.

Generell scheint der Energiebereich das Wirtschafts­ministerium die letzten Jahre schwer beschäftigt zu haben. In 2012 und 2013 hat es die Kampagne „Stromsparen rockt!“ initiiert, mit der die Bürger Bayerns für das Thema Energiesparen sensibilisiert werden sollten.

Ursprünglich waren dafür 500.000 Euro veranschlagt worden, doch bei Abschluss der Kampagne hatte sich der Kostenansatz mehr als verfünffacht – auf 2.5 bis 2.8 Millionen Euro. Die Differenz von 300.000 Euro zwischen der vom Wirtschafts­ministerium übermittelten Kostenaufstellung und den Kosten gemäß Kampagnen-Abschlussvermerk konnte nicht aufgeklärt werden.

Ebenso musste der Bayerische Oberste Rechnungshof (ORH) bei seiner Prüfung der Kampagne nach Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit der Mittelverwendung feststellen, dass Teile der Akten wie eine detailliert aufgeschlüsselte Gesamt­kosten­übersicht oder eine Begründung für die Kostensteigerung nicht auffindbar waren oder schlicht fehlten.

Dass das Ministerium für Werbepostkarten mehr als 230.000 Euro und für Traubenzucker als Werbegeschenke 26.000 Euro ausgegeben hat, ist noch eine Erwähnung wert.

Das Wirtschafts­ministerium versäumte es, messbare Ziele, eine klar definierte Zielgruppe (wurde zwischenzeitlich von der Gruppe der 18- bis 29-jährigen auf alle Bürger Bayerns ausgeweitet) sowie ein realistisches Budget festzulegen. Seine Behauptung, dass im Schnitt jeder Bürger Bayerns mindestens fünf Mal mit der Kampagne in Berührung gekommen sei, wirkt angesichts dessen äußerst zweifelhaft.

Nichtsdestotrotz schloss sich von 2014 bis 2016 eine Informationskampagne über Energie-Infrastrukturprojekte sowie den Umbau der Energieversorgung daran an. Eigentlich war der Einsatz eines Roadmobils, das bayernweit in 25 kleineren und mittleren Städten Station machen sollte, geplant, doch stattdessen verwandelte sich die „Roadshow“ in einen modularen Messestand, der in genau sechs „kleineren und mittleren“ Städten wie München oder Augsburg Halt machte.

Laut Ministerium seien rund 50 Schulen pro Regierungsbezirk angeschrieben worden; tatsächlich besuchten gut 230 Schüler aus ganz Bayern den Messestand. Auch hier musste der ORH diagnostizieren, dass sich die Ausgaben um 40 % gegenüber der Planung erhöht hatten – auf 1.75 Mio. Euro.

Kurzes Zwischenfazit: Für beide Kampagnen hat das Wirtschafts­ministerium also insgesamt mehr als 4,5 Mio. € ausgegeben und kann keine begründete Aussage darüber treffen, ob und was damit erreicht worden ist.

2017 wagte die Staatsregierung schließlich den ultimativen Coup: Nicht einer, sondern gleich zwei Heimatfilme sollten her.

Dafür engagierte man den Meister dieses Genres, Regisseur Hans Steinbichler, und ließ den „Imagefilm Bayern 2017“ und den Film „Bayern. Moderne Industrie und mehr“ produzieren. Beide sind jeweils ungefähr zwei Minuten lang und haben zusammen über 355.000 Euro gekostet.

Ziemlich teuer, wenn man bedenkt, dass die Kollegen von der öffentlich-rechtlichen ARD davon auch 23 Minuten „Tatort“ hätten finanzieren können und noch 2013 der Gesamtpreis für vier Imagefilme der Regierung bei 58.000 Euro lag.

Aber die klischeehafte Montage an Landschaftsaufnahmen, Fabriken und überschwänglich glücklichen Menschen, unterlegt mit tiefgründigen Zitaten wie „Von nix kimmt nix“ und „Bayern ist Heimat“, ist dieses Mal auch besonders schön geworden. Oder in den Worten des Wirtschaftsministeriums: Die Filme sprächen keine Wähler an und enthielten keine politischen Botschaften, sondern man wolle Unternehmen, Fachkräften, Touristen, aber auch Bürgerinnen und Bürgern im In- und Ausland die Attraktivität des Freistaats anschaulich näherbringen.

Also eine völlig inhaltslose Form der Öffentlichkeitsarbeit. Dürfen die das?

Von Bienen und Blumen – eine Belastung für die Demokratie

Staatliche Öffentlichkeitsarbeit ist ein notwendiger Bestandteil einer funktionierenden Demokratie, in der sich die politische Willensbildung vom Volk zu den Staatsorganen hin vollzieht.

Der Bürger muss informiert genug sein, um wichtige Sachfragen oder die Aktionen der bisherigen Regierung angemessen beurteilen, billigen oder verwerfen zu können und somit durch die Abgabe seiner Stimme verantwortliche Entscheidungen zu treffen. Daher ist es erforderlich, dass die Regierung regelmäßig der Öffentlichkeit ihre Maßnahmen und Vorhaben erläutert.

Selbstverständlich gibt es auch hier verfassungs­rechtliche Grenzen, die die Regierung beachten muss.

Da die Öffentlichkeitsarbeit aus dem (Landes-)Haushalt, sprich von Steuergeldern, finanziert wird, ist die Regierung zu einer wirtschaftlichen und sparsamen Mittelverwendung verpflichtet. Zudem müssen die Ausgaben zuvor vom Parlament im aktuellen Haushaltsgesetz bewilligt worden sein und dieses veröffentlicht werden.

Somit weiß man zwar, wieviel die Regierung jedes Jahr für Öffentlichkeitsarbeit ausgibt, jedoch nicht genau, wie dieses Geld im Detail verwendet wird. Die einzelnen Titel im Haushaltsplan werden oftmals einfach nur als „Mittel zur Öffentlichkeits­arbeit“ aufgeführt und die zugehörigen Erläuterungen sind sehr vage oder nicht vorhanden.

Doch selbst wenn ein scheinbar offensichtlicher Fall von „Steuer­verschwendung“ wie in obigen Beispielen vorliegt, müssen die Verantwortlichen in den seltensten Fällen mit (straf-)rechtlichen Konsequenzen rechnen.

Zum einen ist es nämlich schwierig, der Regierung konkret nachzuweisen, dass sie die Grenze zur Missachtung des ebenso vage formulierten Wirtschaftlichkeits- und Sparspamkeitsgebot über­schritten hat.

Und zum anderen profitiert sie von einer geradezu grotesken Entwicklung der letzten Jahre: Denn während die Strafen im Bereich der Steuererhebung (also für Steuerhinterziehung) intensiv verschärft worden sind, ist die Rechtsprechung im Bereich der Steuerverwendung dazu über­gegangen, nur noch haushaltswidrige Maßnahmen als strafbar nach § 266 StGB (Untreue) anzusehen, wenn dadurch eine Privatperson einen rechtswidrigen Vorteil erlangt hat.

Sowohl die Vorenthaltung als auch die Verschwendung öffentlicher Mittel belasten die Staatskasse, aber solange ein Politiker nicht korrupt, sondern bloß unwirtschaftlich den Haushalt veruntreut, muss er aktuell in der Praxis, anders als der steuer­hinterziehende Bürger, keine Strafverfolgung fürchten.

Weiterhin ist die Regierung bei ihrer Öffentlichkeitsarbeit zu parteipolitischer Neutralität verpflichtet.

Da die Regierungsmitglieder sich gegenüber dem gesamten Volk verantworten müssen, dürfen sie die Ressourcen, die ihnen kraft ihres Amtes zur Verfügung stehen und der Opposition fehlen, nicht dazu verwenden, den politischen Wettbewerb zu beeinflussen, indem sie bestimmten Parteien Vor- oder Nachteile verschaffen.

Wenn die regierende Partei zu Wahlkampfzeiten mithilfe von Steuergeldern derartig auf die Öffentlichkeit einwirken würde, dass sie wiedergewählt wird, wäre die im Grundgesetz verankerte Chancengleichheit verletzt und die Wahlen wären nicht mehr frei. Möchten Kabinettsmitglieder am Wahlkampf mitwirken, müssen sie deutlich machen, dass sie als Parteipolitiker und nicht als Amtsträger auftreten.

Zur Verdeutlichung zwei Beispiele:

1.) Die damalige Bundesbildungsministerin Wanka veröffentlichte 2015 eine Presseerklärung auf der Homepage ihres Ministeriums, in der sie eine „Rote Karte“ für die AfD forderte.
2.) Die damalige Bundesfamilienministerin Schwesig äußerte 2014 in einem Interview, dass man den Einzug der NPD in den thüringischen Landtag verhindern müsse.
Im ersten Beispiel bestand durch das Veröffentlichen des Statements auf der Ministeriumsseite ein eindeutiger Amtsbezug, im zweiten Beispiel war dieser nicht ersichtlich. Daher war das Handeln im ersten Beispiel rechtswidrig, im zweiten nicht.

Da im bayerischen Volksmund mit der CSU eine einzige Partei sinnbildlich für die gesamte Landesregierung steht (immerhin stellt sie seit 1957 ununterbrochen den Ministerpräsidenten, davon 47 Jahre mit absoluter Mehrheit), verschwimmen hier die Grenzen besonders oft:
– 2017 wurden in oben erwähntem Imagefilm Ausschnitte aus einer CSU-Parteitagsrede des damaligen CSU-Vorsitzenden Franz Josef Strauß eingebaut.
– Drei Monate vor der Bundestagswahl 2017 verschickte die bayerische Umweltministerin Ulrike Scharf 100.000 Euro teure Blumenmischungen für Bienen und Schmetterlinge, auf denen ihr persönlicher Gruß samt Eigenlob aufgedruckt war, ausschließlich an Haushalte im eigenen Wahl- und Stimmkreis. Dass die Aktion Ende Juni, also gerade so zu Beginn der „heißen Wahlkampfphase“ stattfand, wurde damit begründet, dass dies dem Aussaat-Zeitpunkt des Saatteppichs entspräche. Als Umweltministerin hätte sie jedoch wissen müssen, dass man die Samen auch früher, mit etwas größerem zeitlichem Abstand zur Wahl, aussäen hätte können.
– Noch gut im Gedächtnis ist Söders kontroverse Kruzifix-Verordnung zum Aufhängen von Kreuzen in allen Landesbehörden. Die Opposition warf ihm in Hinblick auf die letztjährige Landtagswahl vor, damit bei konservativen Wählern auf Stimmenfang gehen zu wollen. Dieser Verdacht erhärtete sich, als die Regierung nach Protesten gegen die Novelle des Polizeiaufgabengesetzes (PAG) eine „Informationsoffensive“ ankündigte und unter anderem Polizisten an Schulen schicken wollte, um für das PAG zu werben. Die Opposition musste einen Dringlichkeitsantrag einreichen, um die Regierung daran zu erinnern, dass sie eine pädagogische und keine parteipolitische Verantwortung gegenüber jungen Menschen habe. Zu diesem Zeitpunkt hatte das Innenministerium bereits über 10.000 Euro für eine eigene Webseite, Broschüre sowie Social-Media-Präsenz zum PAG ausgegeben.
– Drei Monate vor der Landtagswahl ließ der Ministerpräsident fast 300.000 „Reklamebriefe“ für das neue Familiengeld, in denen der Informationsgehalt gering und das Selbstlob groß war, versenden und wies seine Minister dazu an, in den letzten Wochen vor der Wahl das Regierungshandeln öffentlichkeitswirksam in den Landtagsausschüssen, wo sie sonst eher selten zu sehen waren, zu präsentieren. Das Bundesverfassungsgericht sieht in dem Anwachsen der Öffentlichkeitsarbeit ohne akuten Anlass in Wahlkampfnähe, z. B. durch die Veröffentlichung von „Erfolgsberichten“ mit beträchtlichem Aufwand und in erheblicher Menge, ein Anzeichen für eine Grenzüberschreitung zur unzulässigen Wahlwerbung.
– In seiner jüngsten Regierungserklärung zur Europawahl warnte der Ministerpräsident vor der AfD, während bereits die Briefwahl lief.
Bei all diesen Beispielen könnte man sagen, dass CSU-Regierungsmitglieder ihr Amt missbraucht haben, um ihre parteipolitische Agenda voranzubringen und Imagepflege zu betreiben.

Neben dem Neutralitätsgebot, das nur im Verhältnis zu politischen Parteien gilt, gibt es noch weitere Regeln für amtliche Äußerungen.

So müssen mitgeteilte Tatsachen zutreffend wiedergegeben werden und Werturteile dürfen nicht auf sachfremden Erwägungen beruhen (Willkürverbot). Ferner müssen die Äußerungen auf einen rationalen und sachlichen Diskurs ausgerichtet sein (Sachlichkeitsgebot). In die Freiheitssphäre des Bürgers darf nur (angemessen) eingegriffen werden, wenn es der Schutz öffentlicher Interessen erfordert (Verhältnismäßigkeitsgrundsatz).

Diese Prinzipien zielen natürlich darauf ab, dass der Bürger weiterhin frei seine (politische) Meinung bilden kann.

Mit dieser Meinungsfreiheit (Art. 5 I 1 GG) geht aber auch das Recht einher, nicht zu einer Meinungsbildung oder Informationsaufnahme gezwungen zu werden. Dieses „Recht, in Ruhe gelassen zu werden“, nennt sich negative Informationsfreiheit. Sie wird beeinträchtigt, wenn dem Bürger Informationen, nach denen er nicht von sich aus gesucht hat, aufgedrängt werden und seine Privatsphäre verletzt wird, z. B. bei unerwünschter Telefonwerbung (§ 7 UWG).

Auf das digitale Zeitalter übertragen bedeutet das: Die Regierung sollte sich bei ihrer Öffentlichkeitsarbeit auf die Bereiche im Internet beschränken, die ihr explizit zugewiesen sind, wie die Webseiten oder Social-Media-Accounts ihrer Ministerien. Diese kann der interessierte Bürger bei Bedarf nämlich gezielt aufrufen und wird andernfalls nicht unfreiwillig damit konfrontiert.

Sobald sie aber staatliche Werbung außerhalb ihres offiziellen Internet-Auftritts schaltet, wie auf anderen Webseiten oder Social-Media-Accounts Dritter, kann der Bürger diesen Anzeigen nicht mehr ausweichen, vergleichbar mit einem Plakat auf der Straße oder einer Annonce in einer Zeitung. Es wäre absurd, vom Bürger zu verlangen, nicht mehr auf die Straße zu gehen, keine Zeitung mehr zu lesen oder nicht mehr im Internet zu surfen, bloß weil er sich nicht mit der Arbeit der Regierung befassen will.

Woher soll er auch wissen, dass er dann geradezu hinterhältig von der Regierung überfallen wird, wenn er diese Aktionen doch zu einem völlig anderen Zweck, z. B. weil er in der Zeitung Nachrichten lesen oder seinen Freunden auf Facebook schreiben will, ausführt?

„Staatlicher Boulevard-Journalismus“?

Dass die Regierung sich nicht an ihre verfassungsrechtlichen Grenzen hält, gibt Anlass zur Sorge und steht stellvertretend für eine andere aktuelle Entwicklung: die Entstehung eines, vom Staat organisierten, rundfunkähnlichen Angebots im Internet.

Dass der Rundfunk aufgrund seiner Breitenwirkung, Authentiziät und Suggestivkraft enormes Missbrauchspotenzial birgt, wurde im Dritten Reich deutlich, als er als staatliches Propagandamittel instrumentalisiert wurde. Daher entschied das Bundesverfassungsgericht 1961, dass der deutsche Rundfunk als „eminenter Faktor der öffentlichen Meinungsbildung“ staatsfern organisiert werden müsse.

Aus der Zeit, in der Fernsehen und Radio noch als die einzigen audiovisuellen Massenkommunikationsmedien galten, stammt auch die Definition des Rundfunkbegriffs: Das in Frage stehende Angebot muss in Bewegtbild oder Ton erscheinen, live gesendet und als journalistisch-redaktionell gestalteter Beitrag entlang eines Sendeplans regelmäßig und wiederholt verbreitet werden. Letztes Jahr wurde medienwirksam diskutiert, ob davon der wöchentliche Podcast der Bundeskanzlerin und andere publizistische Online-Aktivitäten der Bundesregierung erfasst wären.

Immerhin ist das Internet inzwischen das zweit-„gewichtigste“ Medium für die Meinungsbildung und knapp jeder fünfte Deutsche vertraut den Meldungen in sozialen Medien eher als denen in den klassischen Medien wie TV, Radio oder Zeitungen.

Diese Diskussion muss nun auch analog in Bayern geführt werden: Kurz nach der offiziellen Amtsübergabe von Seehofer an Söder hieß es, dass der neue Ministerpräsident die Öffentlichkeitsarbeit der Ministerien regelmäßig und näher an sich binden und Medienauftritte nach der Kabinettssitzung häufiger selbst absolvieren wolle. Die loyale Staatskanzlei eigne sich mit ihrem eigenen PR-Etat dafür hervorragend als Kommandozentrale. Das „Raumschiff Söder“ verleibe sich immer mehr Wissen und Kapazitäten aus den Ministerien ein und diktiere im Kabinett die Tagesordnung.

Die besondere Stellung der Staatskanzlei innerhalb der Regierung spiegelt sich auch in der Architektur des Gebäudes wider. Hier sind keine Kosten gescheut worden – vom Hotellobby-ähnlichen Empfangszimmer, in dem ich nach der Anmeldung am Empfang alleine warten darf, bis hin zu den edlen Marmor- und Granitwänden und geschwungenen Treppen, über die ich nach oben geführt werde. Es ist sehr still; der pinke Teppichboden schluckt die meisten Geräusche. Man merkt, hier wird gearbeitet. Die Hierarchie steigt mit den Stockwerken – ganz oben ist das Büro des Ministerpräsidenten, nicht weit davon entfernt sitzen die Verantwortlichen für Öffentlichkeitsarbeit.

Die sozialen Medien der Regierung werden nämlich nicht von Söder privat verwaltet, sondern von seiner Online-Redaktion.

Obwohl ich wieder und wieder nachgefragt habe, wie viele Mitarbeiter sie hat, wollte man mir partout keine genauen Zahlen nennen. Man könne mir keine detaillierten Auskünfte zu internen Abläufen oder Arbeitsprozessen geben, wurde mir schriftlich mitgeteilt. Der „Schutz der effektiven Arbeitsprozesse“ und der persönlichen Daten der Mitwirkenden überwiege mein Auskunftsinteresse, da die erfragten Angaben vor allem der Abstimmung innerhalb der Behörde dienten und keine direkte Außenwirkung besäßen. Darüber hinaus würde die Zusammenstellung der angefragten Daten einen unverhältnismäßig großen Aufwand darstellen.

Im persönlichen Gespräch* gelingt es mir immerhin, die Aussage, dass sich die Mitarbeiteranzahl in den letzten Jahren nicht groß verändert habe, herauszukitzeln. Aus einer Abgeordnetenanfrage von 2016 geht hervor, dass die Staatskanzlei ca. 11,5 Vollzeitstellenäquivalente für Öffentlichkeitsarbeit und Internetpräsenz eingeplant hat, die Regierung insgesamt um die 80 Vollzeitstellenäquivalente.

Diese Mitarbeiter kämen aus unterschiedlichen Berufsgruppen – manche hätten zuvor als Beamte im Ministerium gearbeitet, andere als Lehrer, heißt es auf Nachfrage. Aus meiner Sicht soll diese Antwort kaschieren, dass auch einige Medien-Profis unter ihnen sind, die genau wissen, wie man mit dem Budget aus Steuergeldern eine möglichst hohe Reichweite erzielt. Mein Gesprächspartner ist beispielsweise ein ehemaliger TV-Journalist.

    Ausgaben für Öffentlichkeits­arbeit in Mio. Euro*

  • StK   (
     0 %)
    3.39
  • LT   (
     -0.92 %)
    2.17
  • StMUK   (
     + 2.22 %)
    2.25
  • StMAS   (
     + 11.67 %)
    1.51
  • StMGP   (
     -32.06 %)
    1.47
  • StMELF   (
     + 7.51 %)
    1.33
  • StMI   (
     -4.44 %)
    1.06
  • StMFH   (
     0 %)
    0.45
  • StMWi   (
     0 %)
    0.40
  • StMWK   (
     + 26.85 %)
    0.37
  • StMB   (
     0 %)
    0.31
  • StMD   (
     -24.39 %)
    0.27
  • StMUV   (
     0 %)
    0.22
  • StMJ   (
     0 %)
    0.19
  • *Angegeben sind die im Regierungs­entwurf des Haushalts­gesetzes und Einzelpläne für 2019 vorgesehenen Werte (in Klammern: die prozentuale Veränderung von 2019 auf 2020).

Über 13 Mio. Euro stehen der Regierung insgesamt jährlich für Öffentlichkeitsarbeit zur Verfügung (mit 3.39 Mio. Euro/Jahr mit Abstand am meisten der Staatskanzlei) und das merkt man auch an der Menge an produziertem Content:

Mehr als 1.100 Videos wurden inzwischen auf dem YouTube-Account „Bayern“ hochgeladen, auf der „offiziellen [Facebook]-Fanseite des Freistaats Bayern und der Bayerischen Staatsregierung“ (was auch immer das heißen soll) finden sich allein eineinhalb mal so viele Fotos.

Bei so viel Inhalt fällt es auch gar nicht mehr auf, wenn zwischendurch auf den Parteipolitiker-Account verlinkt wird.

Zurecht fragt man sich nun, wozu man noch die Wikipedia benötigt, wenn der Staat von sich aus schon so viele Informationen ins World Wide Web stellt. Doch nur ein Bruchteil dieser Beiträge enthält tatsächlich knallharte Fakten, wie man es von einer Regierung, die damit nach eigener Angabe ihrem „verfassungsrechtlichen Informationsauftrag“ nachgehen will, erwarten würde.

Stattdessen gibt es fast schon komödiantische Videoporträts der einzelnen Kabinettsmitglieder, in denen abwechselnd Söder eine Star-Trek-Tasse, der Wissenschaftsminister ein Marien-Emblem und der Staatssekretär des Innern das unterfränkische Wappen (in XXL!) in die Kamera halten, Q and As sowie Live-Pressekonferenzen mit dem Ministerpräsidenten und ganz ganz viele Landschaftsfotos – ein bunter Mix, wie bei Influencern und Rundfunkanbietern üblich.

Um für den Bürger nahbar zu wirken, werden auch gezielt Themen des alltäglichen Lebens angesprochen, die staatsferner nicht sein könnten, wie der royale Nachwuchs in England, die Meisterschaft des FC Bayern oder der Vorweihnachtsstress.

Sogar Kurz-Reportagen bzw. Vlogs zu Auslandsreisen dreht die Regierung inzwischen selbst, wie zum Europabus oder zu Söders Äthiopien-Reise. Wird es demnächst vielleicht auch noch eine „Challenge“ oder ein „Let's play Aufbruch Bayern“ mit dem Ministerpräsidenten geben?

Schriftlich wurde mir bereits mitgeteilt, dass in Zeiten des Wandels in der Mediennutzung mit einem „Kanon aus klassischer und digitaler Öffentlichkeitsarbeit“ den vielfältigen Gesellschaftsschichten die Teilhabe am politischen Meinungsbildungsprozess ermöglicht werden solle.

Im persönlichen Gespräch frage ich noch einmal direkt nach, worin denn der Informationsgehalt bei den vielen Landschaftsbildern zu sehen sei. Die Fotos, die übrigens z. T. für andere Projekte eingekauft worden sind, z. T. von Bürgern eingeschickt werden, seien repräsentativ für Bayern, wird mir erklärt.

Man verschaffe den Bürgern Anreize, die Regierungsaccounts aufzusuchen, indem gezielt geschaut wird, was sie interessieren könnte. Genau wie die Vorstellungsvideos der Minister sollen sie die Bürger zum Anklicken bewegen.

„Also betreibt die Regierung Clickbait?“, frage ich ganz direkt. Mein Gegenüber drückt sich ein wenig.

„Ja, aber wieso ist das so schlimm?“, antwortet er schließlich.

„Weil Sie die Regierung sind“, meine ich, „und kein Standard-Influencer.“

Die Nutzung sozialer Medien zieht noch ganz andere Probleme nach sich:

Letztes Jahr hat die Regierung 17.400 Euro an YouTube gezahlt, um bestimmte Videos als Werbung zu schalten, sowie in 2016 und 2017 insgesamt 128.000 Euro an Facebook für Online-Anzeigen. Wenn so hohe Summen an diese Tech-Konzerne, die in Deutschland vor allem wegen ihres freizügigen Umgangs mit Nutzerdaten in der Kritik stehen, fließen, stellt sich schon die Frage, ob die Regierung damit nicht konkludent Beihilfe zum Datenmissbrauch begeht.

Der Bayerische Datenschutzbeauftragte hat die Behörden bereits mehrfach aufgefordert, ihre Öffentlichkeitsarbeit im Bereich sozialer Medien kritisch zu überprüfen, da sie durch das Einstellen von Fanpages mitverantwortlich für die Einhaltung des Datenschutzes wären. Auf Nachfrage hieß es beim Team des Datenschutzbeauftragten, dass ihnen keine konkreten Maßnahmen bekannt wären, die die Regierung infolge dieser Empfehlung getroffen hat.

Außerdem kommt es immer wieder vor, dass Behörden missliebige Kommentare löschen und Nutzer blockieren. Dadurch wird aber einem Teil der Öffentlichkeit der Zugang zum Informationsangebot der Regierung erschwert oder sogar verwehrt.

An dieser Stelle ist es wichtig, klarzustellen, dass der Regierung keinesfalls die Befugnis zur Öffentlichkeitsarbeit abgesprochen werden soll.

Die Staatsregierung leistet zweifellos auch gute und wichtige Öffentlichkeitsarbeit, wie bei der Durchführung von Kampagnen zur Stärkung und Intensivierung des Bewusstseins für HIV/Aids, zur Herz-Lungen-Wiederbelebung durch Laien oder zur Salafismusprävention. Sogar die von Fremdschäm-Momenten nur so strotzende Kampagne „Elternstolz“ hat irgendwo ihre Berechtigung, da sie mit der Werbung für berufliche Ausbildung ein legitimes Ziel verfolgt.

Doch in letzter Zeit scheint es gerade in den sozialen Medien bei der Öffentlichkeitsarbeit mehr um die Regierungspersonen als um die -inhalte zu gehen.

Staatsgeheimnis Öffentlichkeitsarbeit

Die Staatskanzlei teilte mir auf Anfrage mit, dass unabhängige Stellen „regelmäßig“ ihre Maßnahmen überprüfen würden, „beispielsweise“ der Landtag oder der Oberste Rechnungshof.

Tatsächlich beruht auch dieser Artikel größtenteils auf Informationen, die als Resultat parlamentarischer Anfragen ans Licht kamen. Gerade die Fraktion der FREIEN WÄHLER hatte in der letzten Legislaturperiode eine gewisse Vorkämpferrolle dabei inne.

So bezeichnete einer ihrer Abgeordneten oben erwähnte Imagefilme unverhohlen als „Wahlkampf auf Kosten der Steuerzahler. Ihr ehemaliger medienpolitischer Sprecher, der amtierende Kultusminister Piazolo (dessen Etat im neuen Haushaltsplan auch angehoben wurde, vgl. oben), beklagte die fehlende Waffengleichheit zwischen Regierung und Opposition und trug sogar eine Interpellation (= große öffentliche Anfrage im Landtag) der Fraktion mit rund 240 Fragen zur Regierungsöffentlichkeitsarbeit mit.

Diese wurde im Januar 2017 eingereicht. Als die Antwort der Regierung zwanzig Monate und viele Ausreden später immer noch nicht vorlag, empörte sich die Fraktion medienwirksam über diese Verzögerungstaktik und warf der Staatsregierung vor, die Antwort bereits fertig zu haben, aber bewusst erst nach den anstehenden Landtagswahlen veröffentlichen zu wollen.

Als ich ein Dreivierteljahr später bei der Fraktion nachfrage, ob die Interpellation denn inzwischen beantwortet worden sei, teilt mir ihr Bürgerbüro mit:

„Die Bearbeitung einer Interpellation nimmt naturgemäß immer einige Zeit in Anspruch und so konnte uns von der letzten Staatsregierung nicht vor Ablauf der Legislaturperiode eine Antwort geliefert werden. Aufgrund der dann folgenden Regierungsbeteiligung der FREIEN WÄHLER und den damit einhergehenden zeitintensiven Veränderungs- und Anpassungsprozessen musste die Interpellation zurückgestellt werden.“

Dass die Staatsregierug damit durchgekommen ist, diese Interpellation eineinhalb Jahre lang nicht zu beantworten und darauf zu setzen, dass sich das Problem mit Ablauf der Wahlperiode aufgrund des Diskontinuitätsprinzips von selbst in Luft auflösen würde, ist geradezu eine Verhöhnung der verfassungsmäßigen Rechte der Abgeordneten.

Es spricht aber auch nicht für die Glaubwürdigkeit der FREIEN WÄHLER, dass sie ein bisheriges Kernanliegen plötzlich fallen gelassen haben, sobald sie selbst mitregieren durften. Ein gemeinsames Umdenken bei der Öffentlichkeitsarbeit, das Piazolo vergangenen September noch für den Fall einer Koalition zwischen CSU und FREIEN WÄHLER vorgeschlagen hatte, scheint jedenfalls nicht stattgefunden zu haben.

Wenn sie wollten, könnten die FREIEN WÄHLER jederzeit wieder eine Anfrage im Landtag einreichen, um die Diskussion am Laufen zu halten.

Abgesehen von den Anfragen bleibt nur noch der Haushaltsplan als Informationsquelle übrig.

Das Stichwortverzeichnis, das einem eigentlich helfen sollte, die weit verstreuten Titel zu finden, ist beim Stichwort „Öffentlichkeitsarbeit“ zum Zeitpunkt der Verabschiedung des Haushaltsgesetzes durch den Landtag jedoch unvollständig gewesen (einige Ressorts fehlten in der Auflistung komplett). Erst als ich das Landeswirtschafts­ministerium darauf hingewiesen habe, wurden die Posten ergänzt.

Seit einem Landtagsbeschluss von 1975 ist die Staatsregierung eigentlich auch dazu verpflichtet, jährlich eine detaillierte Aufstellung („Kaub-Bericht“) über alle ihrer Aufwendungen für Öffentlichkeitsarbeit an das Parlament weiterzuleiten. Als ich bei meinem Gespräch in der Staatskanzlei darum gebeten habe, ihn einsehen zu können, wurde ich an den Landtag verwiesen – dessen Mitarbeiter benötigen aber wiederum die Freigabe durch die Staatskanzlei.

Die Staatskanzlei hat ferner zugegeben, dass vom Obersten Rechnungshof in den letzten zwölf Monaten keine Öffentlichkeitsarbeit geprüft wurde.

Womöglich ist die Regierung mit konkreten Informationen so zurückhaltend, um ihr Gesicht zu wahren.

Man sollte denken, dass es feste Richtlinien für die Mitarbeiter gibt, was gepostet werden darf und was nicht, und dass die entworfenen Posts von einem Juristen abgesegnet werden müssen, der die Einhaltung der aufgeführten verfassungs­rechtlichen Grenzen überprüft. Tatsächlich scheint es zumindest bei der Staatskanzlei überhaupt keine internen Kontrollinstanzen zu geben.

Im Gespräch wird die Entscheidungsautonomie der Redakteure betont. Posts entstünden entweder Termin-bezogen, also wenn der Ministerpräsident eine geplante Veranstaltung absolviert und dabei von einem Kamerateam begleitet wird, oder nach Gutdünken des Redakteurs, der für den entsprechenden Tag eingeteilt ist. Dass die Mitarbeiter keinen langen Weg durch die Hierarchie gehen müssten, wird als etwas Positives dargestellt.

Die parteipolitische Neutralität sei allein dadurch schon sichergestellt, dass der Redakteur an sich neutral ist. Die Stellungnahme zum Volksbegehren sei als Teil einer Art wöchentlichen Podcasts entstanden, bei dem der Ministerpräsident auf aktuelle Themen eingehe.

Wie ich bereits aus einer parlamentarischen Anfrage, die ich in die Wege geleitet habe, erfahren habe, sieht die Regierung bei diesem Video das Sachlichkeitsgebot gewahrt.

Als ich wissen möchte, welche Prüfinstanzen es neben Landtag und ORH noch gäbe, wird mein eigener Name genannt.

Meine Recherche würde ja zeigen, dass jegliches Regierungshandeln immer noch von den Bürgern kontrolliert wird. Das bringt mich zum Schmunzeln, denn besonders kooperativ ist die Regierung bisher nicht gewesen.

Meine Anfragen sind drei Monate lang nicht bzw. nur ausweichend beantwortet worden – erst als ich den Landesdatenschutzbeauftragten als unabhängige Kontrollbehörde involviert habe, hat man (gezwungenermaßen) reagiert.

Als Ausrede wurde vorgetragen, dass die Online-Redaktion sehr viele Anfragen zu beantworten und man nichts Genaues zu meiner Person sowie meinen Intentionen gewusst hätte, was die Antwort erschwert habe. Es wird impliziert, dass Journalisten bevorzugt behandelt werden würden und man hofft, dass der nervige neugierige „Niemand“ sich mit den Standardfloskeln zufrieden gibt.

Mit dieser Kommunikations­strategie tut sich die Regierung jedenfalls selbst keinen Gefallen. Öffentlichkeitsarbeit richtet sich, wie der Name schon sagt, an die Öffentlichkeit. Daher erscheint es mir nur logisch, dass auch die internen Überlegungen der Regierung diesbezüglich für die Öffentlichkeit einsehbar sein sollten, eben wenn sie eine Kontrollfunktion ausüben und die Regierung letztlich legitimieren soll.

Ein überraschender Kurswechsel

Die entscheidende Frage ist nun: Was unterscheidet die Online-Aktivitäten der Regierung eigentlich noch von einem Rundfunk?

Die oben genannten Kriterien (Bewegtbild/Ton, live, journalistisch-redaktionell gestaltet, Sendeplan) scheinen allesamt erfüllt, gerade wenn inzwischen regelmäßige Formate geplant sind.

Mein Gesprächspartner sieht das naturgemäß anders: Man informiere nur in dem Moment, in dem es was zu informieren gäbe. Die Regierung habe keine stündliche Verpflichtung zur Nachrichtensendung und der wöchentliche Podcast zähle noch nicht als regelmäßiges Angebot. Durch das Clickbaiting dränge man sich den Bürgern auch nicht auf, da sie immer noch selbst einen „zusätzlichen Impuls“ leisten müssten, z. B. indem sie auf den „Folgen“-Button klicken.

Dennoch sind die Grundlagen für eine wirksame Propaganda-Maschinerie unbestreitbar gegeben.

Dass die Regierung trotzdem noch nicht in völlig unerträglichem Maße auf den freien Meinungsbildungsprozess einwirkt, haben wir vor allem der fehlenden Koordination zwischen den Ministerien zu verdanken.

Der „Raumschiff Söder“-Vorwurf wird scharf, aber durchaus glaubhaft, zurückgewiesen: Jedes Ressort entscheide über seine eigene Öffentlichkeitsarbeit selbstständig, ohne Anleitung aus der Staatskanzlei. Der YouTube-Account diene lediglich als Sammelpool.

Dadurch fehlt es an einer systematischen, alle Lebensbereiche umfassende Einwirkung auf die öffentliche Meinung. Deswegen darf man sich meiner Meinung nach aber noch lange nicht sicher fühlen. Da das Kapital und die Infrastruktur vorhanden sind, ließe sich das, falls gewollt, sehr schnell ändern.

Die staatliche Öffentlichkeits­arbeit zu hinterfragen, ist nicht nur in Bayern angebracht, sondern prinzipiell überall dort, wo Steuergelder für PR ausgegeben werden – wie in anderen Bundesländern (z. B. 10.5 Mio. Euro in Niedersachsen) oder auf Bundesebene (58 Mio. Euro). Auch in Österreich, wo problematisch viel in Boulevard-Zeitungen geworben wird, sind die Ausgaben unter der ÖVP/FPÖ-Koalition stark angestiegen.

Welche drastischen Dimensionen eine unkontrol­lierte Öffentlichkeitsarbeit annehmen kann, zeigt das Beispiel USA, wo über eine Milliarde US-Dollar jährlich in Regierungswerbung investiert wird. Extensive parteipolitische Regierungskampagnen haben sicherlich dazu beigetragen, das Vertrauen der US-Bürger in ihre Regierung zu schmälern und die Fronten im öffentlichen Meinungskampf zu verschärfen.

Mein Eindruck ist, dass die Staatsregierung mit ihrer Öffentlichkeitsarbeit eigentlich ein lobenswertes Ziel verfolgt, indem sie die Bürger am Regierungshandeln teilhaben lassen will.

Gleichzeitig befürchtet man aber, dass die Inhalte ohne Clickbait und andere Maßnahmen nicht aufgesucht werden würden, da die Bürger zu politikverdrossen sind. Dies darf aber keine Rechtfertigung für die Verschwendung von Steuergeldern oder Eingriffe in den Meinungspluralismus sein.

Die Menschen für Politik zu interessieren, ist Aufgabe der Medien oder der Parteien, aber nicht die der Regierung. Ihre Öffentlichkeitsarbeit sollte auf ein absolutes Minimum reduziert und alles Überflüssige ausgelagert werden.

Für Bayerns schöne Landschaften zu werben ist beispielsweise Aufgabe der Tourismusbranche.

Auch die Kabinettsmitglieder mit einem Augenzwinkern vorzustellen (wie wohl durch diese Videoclips beabsichtigt), sollte nicht auf staatlichen Accounts, sondern deren privaten Parteipolitiker-Accounts erfolgen. Immerhin haben diese aufgrund ihres Mandats als Landtagsabgeordnete sowieso eigene Mitarbeiter und finanzielle Ressourcen zur Verfügung.

Ich würde mir wünschen, dass man sich wieder lediglich auf ein personenunabhängiges Präsentieren von Inhalten beschränkt. Zu diesem Zweck könnte man auch mit der Landeszentrale für politische Bildung zusammenarbeiten, um neutrale, für die breite Masse verständliche Erklärvideos zu aktuellen Themen zu produzieren.

Für das Volksbegehren Artenvielfalt hätte das bedeutet, sachlich die dem Volksbegehren zugrundeliegende Kernproblematik (Artenschutz) aufzuarbeiten und die Argumente für und gegen die Position der Initiatoren aufzuführen. Auch die Ergebnisse von Kabinetts­sitzungen könnten auf diese Weise verarbeitet werden.

Ich habe mich sehr darüber gefreut, dass ich bei meinem Gespräch in der Staatskanzlei die Möglichkeit hatte, diese Vorschläge vorzubringen, und mir gesagt wurde, dass man sich damit auseinandersetzen würde. Immerhin schaltet die Staatskanzlei momentan auf sozialen Medien (zumindest vorübergehend) keine Werbung mehr, wie mir mein Gesprächspartner ganz zum Schluss überraschend mitgeteilt hat. Man habe dazugelernt.

Die Staatsregierung hat sich in den vergangenen Jahren, vor allem unter dem aktuellen Ministerpräsidenten, mit ihren Online-Aktivitäten ein regelrechtes Institut der Meinungsbildung klammheimlich aufgebaut. Wir Bürger dürfen diese Entwicklung nicht mehr so einfach hinnehmen, sondern müssen die Regierung wieder regelmäßig an ihre Verantwortung erinnern.

13 Millionen Euro für Öffentlichkeitsarbeit mögen angesichts des bayerischen Milliardenhaushalts als nicht viel erscheinen. Doch 13 Millionen Euro sind für den Durchschnittsbayer mit monatlichem Einkommen von 3345 Euro immer noch eine große Summe. Mit diesem Geld könnten z. B. auch viele der 9.000 Münchner Obdachlosen von der Straße gerettet werden.

Wenn die 13 Millionen also schon in Öffentlichkeitsarbeit investiert werden, dann bitte wirtschaftlich und demokratisch.